piwik no script img

„Roger, St. Pierre ist mit dir“

Interview mit Nava Patel, Vorstandsmitglied von „Jeunesse Sportive St. Pierroise“, dem Club von Kamerun-Star Roger Milla auf der Insel Reunion im indischen Ozean  ■ I N T E R V I E W

taz: Warum spielt Milla ausgerechnet in Reunion?

Nava Patel: Milla ist im Juli 89 hierher gekommen, wegen seines Freundes Jo Amiel, unserem Clubsekretär. Der hat früher mit ihm in Frankreich bei St. Etienne gespielt und damals mal gesagt: „Roger, wenn du aufhörst mit dem Profifußball, dann kommst du zu uns, zu St. Pierroise.“ Milla hat's versprochen und eingelöst.

In Deutschland heißt es, Milla spiele in so etwas wie einer Bezirksliga, Kneipen- oder Freizeitmannschaft.

Von wegen Kneipenmannschaft. Ich weiß nicht, was bei Ihnen Bezirksklasse ist, aber wir haben immer so 2.500 bis 5.000 Zuschauer, zuletzt einmal auch 12.000. Jeunesse Sportive gehört der Regionalklasse „Club Honeur“ an und war 1989 Meister von Reunion. Jetzt führen wir nach der Vorrunde wieder mit drei Punkten Vorsprung. Milla hat nur die Hälfte der Spiele mitgemacht, wegen der WM-Vorbereitung, aber schon wieder zehn Tore geschossen.

Spielt er Mittelstürmer und wird eingewechselt?

Nein, nein, er trägt bei uns die „8“ und ist unser Mittelfeldregisseur.

Wie war das denn, als Sie hörten, er wird für Kamerun bei der Weltmeisterschaft spielen?

Damit gerechnet hatte niemand. Wir sind sehr stolz auf unseren Roger, und auf dem Flughafen wurde er von etwa 600 Leuten verabschiedet, mit Blaskapelle und dem Sega, einem traditionellen Tanz hier im Indischen Ozean mit afrikanischem Ursprung und sehr erotischen Hüftbewegungen. Milla macht übrigens auch in unserem Club nach jedem Tor seinen Fahnentanz, der allerdings weniger am Sega als wohl am Lambada orientiert ist. Und hier bei uns bekreuzigt er sich noch dazu.

Reunion ist ein französisches Departement, ein Vielvölkerstaat, eine, bei uns würde man sagen: multikulturelle Gesellschaft. Das Interesse für Fußball, haben wir festgestellt, ist sehr unterschiedlich.

Milla war schon vor der WM hier sehr berühmt, alle sind sehr stolz auf ihn. Er ist ein einfacher, sehr netter und sehr charmanter Mann. Er lebt hier das belle vie eines Amateurs, atmet die gute Luft von Reunion und hat das Temperament wie unser Vulkan Piton de la Fournaise, einer der aktivsten dieser Erde. Er ist ein Vorbild für die Jugend, und wir erhoffen uns durch ihn mehr Zuschauer und steigende Touristenzahlen.

Ihr Tip für das Spiel gegen England.

Wir, also Kamerun, gewinnt 1:0. Tor durch Milla, natürlich. Am Samstag fliegen der Bürgermeister von St. Pierre, der Präsident unseres Clubs, Monsieur Ramin, und viele andere aus unserer Stadt mit einer Sondermaschine nach Rom. Auf der Tribüne werden sie ein Spruchband entrollen, auf dem steht: „Roger, St. Pierre ist mit dir.“ Das wird eine große Überraschung. Aber Deutschland nächsten Mittwoch ist dann zu schwer. Die werden im Endspiel gegen Italien stehen.

Interview: Joachim Gundlach

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen