Nach zwölf Jahren Knast in die Freiheit

Die begnadigte ehemalige RAF-Frau Angelika Speitel wurde gestern nach fast zwölf Jahren entlassen  ■ P O R T R A I T

Von Gerd Rosenkranz

Der Stichtag war eigentlich der heutige Samstag. Doch 24 Stunden früher als vorgesehen konnte Angelika Speitel gestern nach fast zwölf Jahren den Knast in Köln-Ossendorf endgültig verlassen. 1978 verurteilte sie das Oberlandesgericht Düsseldorf wegen Mordes und versuchten Mordes an zwei Polizeibeamten und Mitgliedschaft in der RAF zu zweimal lebenslänglicher Haft. 1986 wandte sie sich, wenige Tage nach dem Mord am Leiter der politischen Abteilung des Auswärtigen Amtes, Gerold von Braunmühl, in einem Fernsehinterview öffentlich von der RAF ab. Im Frühjahr vergangenen Jahres wurde sie von Richard von Weizsäcker begnadigt.

Als das Oberlandesgericht Düsseldorf am 30. November 1979 das Urteil „lebenslänglich“ verkündete, quittierte die Sympathisantengemeinde den Spruch gegen Angelika Speitel mit dem Ruf: „Bleib stark!“. Stark bleiben? Sie war es schon damals nicht.

Äußerlich „hart drauf“, hatte die damals 27jährige Schwäbin im Verlauf des Prozesses systematisch ihren Ausschluß aus dem Verfahren betrieben, mal mit wüsten Beschimpfungen, mal mit gezielten Tomaten-, Eier- und Zwiebelangriffen gegen den Vorsitzenden Richter Wagner.

Kurz: Sie verhielt sich nach Schema RAF. Trotzdem beschlichen viele Prozeßbeobachter, sogar den der 'Frankfurter Allgemeinen Zeitung‘, nach dem Urteilsspruch „ungute Gefühle“. Wer Augen hatte zu sehen, nahm der Frau ihre gespielte Stärke nicht ab. Die 'Süddeutsche Zeitung‘ philosophierte (zwei Jahre nach dem Trauma des „Deutschen Herbstes“) über das „Elend einer Gesellschaft, in der sich ein so junges Mädchen offenbar keinen anderen Rat weiß, als sich einer Untergrundarmee anzuschließen“.

Angelika Speitel, die mit 18 den späteren RAF-Kronzeugen Volker Speitel geheiratet hatte, gehörte zur ersten Generation des „Anti-Folter-Komitees“. Ihr Kampf gegen „das System“ fand seinen Ausgangspunkt im System der Isolationshaft - wie der aller nachfolgenden RAF -Generationen. Im Büro des Rechtsanwalts Croissant las sie die Briefe der Stammheimer Gefangenen. Die Wohnung teilte sie mit Willy Peter Stoll, der später von der Polizei erschossen wurde, und Siegfried Hausner, der nach dem Anschlag auf die Stockholmer Botschaft starb.

Wahrscheinlich 1976 tauchte sie ab. Zum intellektuellen Kern der Gruppe gehörte sie nie. Selbst die Bundesanwaltschaft handelte sie nur als „Quartiermacherin“ der RAF, was die Fahnder allerdings nicht daran hinderte, sie zeitweise der direkten Beteiligung an den Mordanschlägen des Jahres 1977 gegen Buback, Ponto und Schleyer zu bezichtigen.

Angelika Speitels Untergrund-Karriere endete im September 1978 mit einer brutalen Ballerei, bei der der Polizist Hans -Wilhelm Hansen und der als Randfigur der Guerilla gehandelte Michael Knoll starben. Ein RAF-Trio hatte bei Schießübungen in einem Wäldchen bei Dortmund die Sonntagsruhe von Anwohnern gestört. Die hatten die Polizei geholt. Angelika Speitel, selbst schwer verletzt, wurde festgenommen und von Volker Speitel identifiziert.

Es folgten zwei Jahre Totalisolation im Knast von Köln -Ossendorf. Ein Jahr nach dem Urteil unternahm Angelika Speitel ihren ersten Selbstmordversuch, wenige Monate später einen zweiten. Zu diesem Zeitpunkt muß sie den Glauben an „die Gruppe“ schon verloren haben. Ihre Haftbedingungen interpretierte sie als Versuch, sie umzubringen. Doch vom absoluten Nullpunkt aus machte sie sich auf den schweren Weg der Ablösung und vollzog sie schließlich, nach dem Mord an Gerold von Braunmühl im Herbst 1986, auch öffentlich.

Die „Bleib stark„-Rufer hat das nicht mehr interessiert. Andere waren beeindruckt. Darunter Richard von Weizsäcker, der sie im Frühjahr vergangenen Jahres begnadigte. Und Hilde von Braunmühl, die sie im Knast besuchte. Freunde werden dafür sorgen, daß der Isolation im Knast nach fast zwölf Jahren nicht eine neue in Freiheit folgt.