DM-Day: Der Schein bestimmt das Bewußtsein

■ Die letzten chaotischen Tage der DDR / Am Sonntag Warteschlangen für den Empfang des neuen Geldes, am Montag erste Einkäufe auf Westmark-Basis / BRD-Minister lassen Ostberliner Kollegen Romberg abblitzen: Mehr Mittel gibt's nicht / Stationierungskosten der Roten Armee gesichert / Kapitalistische Konzerne halten sich mit Einstieg zurück / DDR- Regierung geht von 430.000 Arbeits- losen bis zum Jahresende aus / Entlassungen verzögert / Wie heiß wird der Herbst?

Berlin (taz) - Karl Marx hat doch Recht behalten - beinahe jedenfalls. Daß es der Geldschein wurde, der das Bewußtsein bestimmt, ist ihm nicht anzukreiden. Ab morgen wird in der DDR die D-Mark herrschen - und für kurze Zeit der Anschein, es gehe voran im neuen Deutschland. Ellenlang ist die Liste der Pressekonferenzen, auf denen Westfirmen in der kommenden Woche ihren Einstieg in die DDR-Wirtschaft bekanntgeben werden. Und kaum wird das Chaos der letzten Tage, der Wirbel bei Geldempfang und -ausgabe überstanden sein, beginnt der Katzenjammer. Denn die Garanten der Zukunft - die West -Unternehmen - haben über alles Erwarten geringe Lust, tatsächlich in die Produktion in der DDR einzusteigen. Daran können auch die Milliarden-Investitionen, die bereits in den vergangenen Tagen angekündigt wurden, nichts ändern. Selbst sie sind viel zu niedrig. Wenn aber bis Mittwoch oder Donnerstag alles verkündet ist, was monatelang vorbereitet wurde, wird erst deutlich sein, daß viele andere - a la Opel - erst einmal abwarten, wie sich die Lage entwickelt. Die Rosinen sind gepickt, jetzt muß der schlecht schmeckende Kuchen noch nachgesüßt werden.

So zeigen sich denn die Kabinette in Bonn wie in Berlin inzwischen äußerst beunruhigt - und verkünden ein Zusatzprogramm nach dem anderen. Noch gestern, zwei Tage vor Inkrafttreten der Währungsunion, forderte Finanzminister Romberg eine weitere Überprüfung des bisherigen Finanzierungsrahmens - und stieß damit bei der Konferenz der Länderfinanzminister (West) auf Granit. Auch Bundesfinanzminister Waigel lehnt weiteres Geld für den Osten ab, und der saarländische Minister Kasper (SPD) meinte: „Nachbesserungswünsche wird es immmer geben. Aber da müssen wir sagen: Landgraf, bleibe hart.“

Wenige Tage zuvor hatte Romberg ein Subventionsprogramm von 13 Milliarden Mark und zahlreiche Steuererleichterungen für kleine Betriebe angekündigt. Mit dem bereits beschlossenen Kurzarbeitergeld können in großem Umfang die Löhne bezuschußt werden, die öffentlichen Verwaltungen entlassen kaum noch Personal. Die große Kündigungswelle wird erst im September wirksam. Der „heiße Herbst“ mit seinen sozialen Unruhen, wenn die Träume von den Vorteilen der Marktwirtschaft für viele zerbrochen sind, kann auch nur mit Geld bekämpft werden - und der mageren Hoffnung, nach einer unbestimmten Anzahl von Jahren doch auf die Gewinnerseite wechseln zu dürfen. Ob die Zuzugssperre für Westdeutschland und Westberlin, logische Konsequenz dieser Entwicklung, dann von der CDU oder der SPD oder einer großen Bonner Koalition verkündet wird, dürfte den Betroffenen gleichgültig sein.

430.000 Arbeitslose erwarte er im Durchschnitt des zweiten Quartals 1990, gab Romberg am Freitag vor seinen Westkollegen bekannt - und schon dafür reichen die Mittel seines Hauses kaum aus. Niemand mag noch versichern, daß es nicht noch mehr werden, ganz im Gegenteil: Unter den West -Managern, die sich in den letzten Wochen in der DDR nach den letzten lohnenden Objekten umgeschaut haben, geht kaum jemand von weniger als einer Million Arbeitslosen aus. Schätzungen reichen bis zu einer „Übergangs -Erwerbslosigkeit“ von vier Millionen. Diese Neuschöpfung wird 1991 zum „Wort des Jahres“ werden; für 1990 ist sich die „Währungsunion“ dieses Titels sicher.

Kurz vor Toresschluß sind auch die Verhandlungen zwischen den Regierungen der DDR und der Sowjetunion über die Stationierungskosten für die Rote Armee abgeschlossen worden. Von Moskau gibt es nun 1,25 Milliarden DM.

diba Siehe Seiten 2, 3 und 6