Fitzcarraldo im Fischhafen

■ Fortgeschrittener Zauber: „The Opera Ship“ in Bremerhaven

Außer Fisch haben Bremerhavens Fischkaufleute offenbar auch noch ein wenig anderes im Kopfe. Ohne ein Mäzenaten-Ehepaar aus den oberen Rängen der lokalen Fischbranche hätte das niederländische Opernschiff „Azart“ nicht im Fischereihafen festgemacht, und entgangen wäre uns eine nächtliche Vorstellung, die ähnlich bizarr und exotisch anmutete wie Fitzcarraldos Große Oper auf dem Amazonas.

Der Slawist August Dirks hat mit ererbten Mitteln ein 60 Jahre altes 28-Meter-Schiff gekauft und als Opernbühne hergerichtet. Als Libretto wurde ein zur Szenerie passendes Frühwerk des Dramatikers und Seemanns Eugene O'Neill gewählt: „Where The cross is made“. Die Musik schrieb Klaas ten Holt, der bisher vor allem mit Pop-und Jazzgruppen gearbeitet hat.

Und wir hörten samstagnachts von einem jungen Ensemble keinesfalls eine angenehm säuselnde Nummern-Revue, sondern ein avanciertes modernes Werk, eine durchkomponierte Kammeroper, die serielle Passagen und freitonale Formen mischt, betont leitmotivisch arbeitet und dem Orchesterpart einen drängenden Rhythmus unterlegt. Der kleine, geschmeidige Klangkörper (von jedem Instrument nur eines) zaubert eine hochdifferenzierte Musik aufs Wasser, lyrisch wie dramatisch, eine Musik, die das Geschehen an Bord mal illustriert, mal kommentiert.

O'Neill erzählt in seinem Stück von den Träumen eines alten

Mannes, der sich in den eigenen vier Wänden als Kapitän wähnt und nach den Kumpanen Ausschau hält, die ihm einen seit langem ersehnten Goldschatz bringen. Sein Sohn (Jos van der Lans, Tenor) hält den Vater zunächst für verrückt, bis für ihn und fürs Publikum sichtbar - die drei erträumten Gestalten auf dem Wasser erscheinen und mit dem Goldschatz die „Azart“ besteigen. Der Vater (Frans Huijts, Bariton) überlebt die imaginierte Erfüllung seiner Obsession nicht, der Sohn aber übernimmt den Vater-Traum, während dessen Schwester (Marianne von Laarhoven) ihn davor retten will. Das Ende bleibt offen.

Malerisch ist das schön angestrahlte Schlußbild: Unter der roten Fahne, die das Schiff gehißt hat, steht die Gruppe, zur Revolutionstheater-Pose erstarrt. Die Matrosen, der Sohn und die Schwester greifen vergeblich nach einer brennenden Schatzkarte. Und die Hafenszenerie und der Mond am fast wolkenlosen Himmel, die Geräusche entfernter Schritte und das Krächzen einiger Möven gehen mit der Musik eine wunderbar fremde Verbindung ein. Eine Weide für Augen und Ohren.

Die Azart-Operntruppe, deren Mitglieder zu den führenden niederländischen Interpreten für Neue Musik gehören, reist von Bremerhaven direkt nach Leningrad und dann nach Moskau, wo sie Ende Juli beim sowjetischen Avantgardemusik-Festival auftritt. Die nächste Opernpro duktion ist für 1991 schon an einen jungen russischen Komponisten in Auftrag gegeben. Vorausgesetzt, da die hohen Kosten weiterhin getragen werden können, laufen sie dann 1992 in Barcelona ein, um Columbus zur Entdeckung Amerikas zu gratulieren. Mit einer Anti-Oper. h