Freiraum braucht Freiraum

■ Wieder ein Aufbauwilliger zermürbt von der Theaterdumpfheit der SPD

Es ist immer noch so: Wenn eine Arbeit in die End- und Vorstellungsrunde geht, z.B. die Abschlußproduktionen der Freiraum-Theaterschule, dann wird Jürgen Müller-Othzen noch einen Hauch dünner und nimmt diesen durchsichtig-bläulichen Ton an. Und in der Aufführung, die zeigt, welche Qualitätsbesessenheit er den Stücken und vor allem den SchülerInnen angedeihen lassen hat, sitzt er immer noch hinten oben im Freiraum-Theater, aufgefressen von vibrierender Aufregung, unhörbar textmitsprechend, anfeuernd, bremsend, haareraufend, hellentzückt, hingerissen, als hinge von diesen Einaktern da unten das Überleben ab.

Dies Unerbittlich-Besessene, das ist noch da. Aber wenn er redet, sind da neue Töne. Er redet von „weggehen“ und „aufhören“, von „sich in Städten umsehen, wo mehr zu machen ist“. Das erzählt er mir bei der Straßenaktion für die Fassadenbemalungen, die stattfindet, weil er endlich von der Kulturbehörde Geld sehen will: „Entweder da läuft jetzt was. Oder es ist aus. Wir machen dicht.“ Trommeln, das zum Geschäft gehört, aber wenn er sagt: „So will ich nicht mehr weitermachen, ganz einfach, weil ich nicht mehr kann“, dann ist mehr als Taktik. Es ist eine Müdigkeit, die kurzfristig der neue Auszubildende Kultursenator hervorft, langfristig aber die zähe Theaterresistenz der Kulturadministration überhaupt.

Kurzfristig geht es um ganze 200.000 Mark, darin enthalten 70.000 DM für Sachmittel, die aus dem Haushalt kommen sollen, und um zwei Stellen, die aus dem Stammkräfteprogramm des Landes bezahlt werden sollen. Von der Behörde Senator Scherfs sieht sich Müller-Othzen vertröstet von April auf Mai auf Juni. Nun soll im September entschieden werden. „Mit Franke (Vorgänger Scherfs, d.Red.) war es zäh, aber man war an einen bestimmten Verhandlungspunkt gekommen. Scherf muß sich erst profilieren, aber bis er seine neuen Konzepte entwickelt hat, haben hier verschiedene Läden dicht gemacht.“

Freiraum wollte seinen Gastspielbetrieb im Herbst wieder aufnehmen und einleiten mit einer Reihe: Was läuft am freien Theater in Bremen?. „Es ist unwahrscheinlich schwierig, den Menschen in der Behörde noch irgendwas zu glauben.“ Der Azubi-Se

nator paralysiert, sie können nicht werben, werden die Spalte auf dem Programmplakat aller Bremer Theater, das erstmals im September rauskommt, leer lassen, weil sie nicht wissen, was sie im September machen.

Der Schweizer Lecoq-Schüler mit den vielen internationalen Kontakten hat mit dem Freiraum ein Konzept verfolgt, in dem sich Gastspiele, eine aus- und fortbildende freie Theaterakademie und der Aufbau eines Schauspielensembles verzahnten. Er hat es alles begonnen, auf eigene Kraft und Kosten. Der Senat reagierte auf minimale Unterstützunganträge spröde, die Pläne für eine Theaterakademie entwickeln sich in einer Schublade weiter, und im letzten Jahr konnte sich Senatsrat Opper nicht mal mehr an die vorher beschlossen 20.000 (!) aus der Lotto -Gießkanne '89 erinnern. Die machte erst Senatsdirektor Hoffmann wieder flott.

Unter dem Zwang, „Defizitä

res abzuspalten“, fielen als erstes die Gastspiele flach, mit ihnen aber das Netz von Vorstellung, Workshop, Kneipengesprächen, „wir haben seitdem keine Öffentlichkeit mehr.“ Es blieb die Gratis-Arbeit einem Ensemble, in dem die Sozialamtsabhängigen die Öffentlichkeit fürchten müssen. „Leute, mit denen Du arbeiten willst, die mußt Du bezahlen können.“ Und dann gab es noch die Theater-Schule, keine Gratis-Arbeit, sondern etwas, das sich tragen würde, wenn Müller-Othzen nichts als sie betriebe. Wobei er aber künstlerisch einginge.

Konsequenz: Erschöpfung nach jahrelangen 64-Stunden-Wochen, Schluß mit dem Ensemble-Aufbau und Stornierung der Theater -Schule. Entweder es gibt jetzt Geld für den Kreislauf Gastspiel - Öffentlichkeit - Schauspielerfortbildungen. Oder es gilt: Etwas besseres als Bremen findest Du allemal, was die Administration betrifft.

Uta Stolle