Friedrich Ludwig Jahn: Turnvater Januskopf

■ In der Neuköllner Hasenheide, dem ersten öffentlichen Turnplatz, soll ein Museum für Friedrich Ludwig Jahn alias „der deutsche Turnvater“ errichtet werden / Der hintergründige Blick auf die historische Legende zeigt einen militaristisch angehauchten, hündisch ergebenen Monarchisten

Neukölln. Für rund eine Million Mark wollen Senat, Bezirk und Turnerbund in der Hasenheide ein Museum für „Turnvater“ Jahn errichten. Wer das Vorhaben bezahlen soll, ist noch unklar. Weit unsicherer scheint jedoch, ob die Befürworter dieser Denkstätte überhaupt wissen, wem sie diesen Bau widmen.

Von Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852) ist gemeinhin nur bekannt, daß er in der Hasenheide 1811 den ersten öffentlichen Turnplatz in deutschen Landen organisierte. Als „Begründer des deutschen Turnwesens“ feiert ihn folglich die Geschichtsschreibung. Gütig lächelt der weißhaarige Zottelbart von sämtlichen Abbildungen. Gerade so, als wolle er die Initiatoren des musealen Millionengrabes bemitleiden.

Jahn war in Wahrheit ein ganz schlimmer Finger. Daß der tumbe Jüngling mit dem jäh

en Zorn in der Schule nicht Fuß fassen konnte, zählt noch zu den positiven Eigenschaften des gebürtigen Mecklenburgers. Den Unmut seiner Mitmenschen erregte er nur, wenn er von einer einheitlichen deutschen Nation fabulierte. Aus Gründen der Selbsterhaltung mußte er sich vorübergehend in eine Höhle zurückziehen.

Jahns große Stunde kam, als Napoleon Preußen unterwarf. In dieser aussichtslosen Lage waren die aufputschenden Reden des Bierhaus-Tribuns durchaus gefragt. FLJ pöbelte gegen alles Französische und trieb seine Landsleute an, sich durch Leibesübungen zu ertüchtigen. Sport in Jahns Welt, schreibt der Historiker Arnd Krüger, war gleichzusetzen mit vormilitärischen Übungen, also Kriegsvorbereitungen. Nicht von ungefähr rekrutierten sich die meisten Soldaten des Lützowschen Freikorps im Kampf gegen Napoleon aus Turnern, die von ihrem „Turnvater“ angeführt wurden. Jahns Engagement machte ihn bei der Obrigkeit beliebt. Männer (Frauen war zu jener Zeit das Turnen verboten!), die sich der eisernen Disziplin des Sports unterwarfen, waren schließlich auch auf dem Schlachtfeld willfährige Figuren. Wie sein Feindbild Napoleon, so erlebte auch Jahn sein Waterloo. Kaum war der Franzose auf Elba zwischengelagert, entledigten sich die befreiten Fürstenhäuser ihres Vorturners. „Im Zeitalter der Heiligen Allianz war kein Platz für nationale Bewegungen, geschweige denn für eine Bürgerwehr, deren Reglement sich der Kontrolle der regierenden Fürsten entzog“, lautet Arnd Krügers Erklärung für Jahns Abgang.

Als der russische Gesandte Kotzebue wenig später von einem Studenten ermordet wurde, fiel auch Jahn der beginnenden „Demagogenhatz“ gegen republikanisches Gedankengut zum Opfer. Habsburgs Metternich belegte ihn mit dem folgenschweren Verdacht der „Geheimbündelei“. Der Schriftsteller und Jurist E.T.A. Hoffmann verurteilte Jahn zu sechs Jahren Haft, aus der er erst 1825 entlassen wurde. 15 Jahre lang durfte sich der vom Podest gestürzte Vater der Turnnation nicht in einer Universitätsstadt, der Brutstätte monarchiefeindlicher Umtriebe, blicken lassen. Mitleidsvoll notierte Richter Hoffmann in der Akte Jahn: „Er ist, wie aus allem, was er begann, klar hervorgeht, heftig, leidenschaftlich, wider seine Gegner erbittert, und was das Schlimmste scheint, mit sich selbst, mit seinen Ansichten und Meinungen nicht im Klaren...“

Daß er im Grunde seines Herzens nie Demokrat war, sondern ein „hündisch ergebener Monarchist“, wie schwarz-rot-goldene Studenten wähnten, gestand sich Friedrich Ludwig Jahn erst 1848 ein. Angesichts der Wirren der bürgerlichen Revolution in Deutschland schrieb er resigniert: „Ich bin für eine Veränderung zu alt und zu fest. Ein Roter werde ich nicht. Meine Gesinnung gebe ich nicht auf - aber um niemandem hinderlich zu sein, allen Verkehr mit den Turngemeinden.“

Verbittert starb Jahn an seinem einstigen Verbannungsort in Freyburg an der Unstrut. Seine von ihm maßgeblich mitgestaltete Turnbewegung spaltete sich in einen konservativen und demokratischen Flügel.

Ein „glanzvolles“ Comeback erlebte Jahns Gedankengut bei den Nationalsozialisten. Edmund von Neuendorff, Jugendwart der Deutschen Turnerschaft, schrie schon vor der „Machtergreifung“: „Zurück zu Jahn, es gibt kein besseres Vorwärts!“ Neuendorff wollte die Turnjugend in einem „in der Leibesübung begründeten national-revolutionären Geist“ erziehen. Hitlers Ideologen griffen diese Anregung gerne auf und verglichen die SA mit Jahns Turnbrüdern von 1811.

Auch Hitler, der Modellathlet aus Braunau, wünschte für sein Deutschland „sportlich trainierte Körper, alle von fanatischer Vaterlandsliebe durchglüht“. Der aberwitzige Kreis zwischen Jahns Kampf gegen Fremdwörter und Hitlers Mein Kampf gegen „Judenneger“ auf „arischen“ Aschenbahnen war bald geschlossen, die Verbindung zwischen der Hasenheide und den Olympischen Spielen von 1936 rasch konstruiert.

Daran sollten die Museumsmacher unbedingt denken: Jahn ist beileibe kein Vorzeigedemokrat. Wenn man dem wirren Sonderling ein Denkmal setzen möchte, dann bitte in Form eines Januskopfes, um die historische Ausgewogenheit zu wahren.

Jürgen Schulz