Toto Schillaci lacht jetzt schon vom T-Shirt

■ Italiens neuer Sturmstar macht wieder das entscheidende Tor, die unterlegenen Iren verabschieden sich respektabel

Aus Rom Herr Thömmes

Am Sonntag morgen wird er sich wieder mal ins Ohr gezwickt haben. Das macht er zur Zeit häufig, der Salvatore Schillaci, den sie in Italien einfach „Toto“ nennen. Er will, erzählt er, eben wissen, daß er nicht träumt: „Für mich ist alles wie im Märchen.“

Das war vor dem Spiel gegen Irland, und der Abend im Olympiastadion wird die Sache für ihn nicht leichter begreiflich machen. Wieder hat Italien gewonnen, wieder hat Salvatore Schillaci das Tor geschossen. Selbst Trainer Azeglio Vicini, der sonst eher dem verbalen Catenaccio huldigt, hat sich zu einer Äußerung bewegen lassen: „Seine Tore sind nicht nur entscheidend, sie sind auch wunderbar.“

In der 38.Minute war das, als Pat Bonner einen Schuß von Donadoni nur abklatschte, und Toto den Ball mit aller Selbstverständlichkeit ins lange Eck schob. Und es hätte nicht sein ein ziger Erfolg sein müssen: Kurz zuvor hatte er schon mit dem Kopf nur knapp vorbei gezielt, nach 53 Minuten setzte er einen Freistoß an die Latte, der nach Wembley-Art auf die Linie prallte, abgezogen aus genau 27,9 Metern und mit einer Geschwindigkeit von 105 Stundenkilometern, wie der Computer errechnet hat, und ganz am Ende klaute ihm Schiedsrichter Silva mit dem Abseitspfiff ein Tor, das wohl doch in Ordnung war (zeigt das Standbild von RAI).

Es war nicht leicht gegen diese irischen Recken, aber es scheint, als gäbe es für Schillaci derzeit keine Hindernisse. „Über diese Bohnenstangen lach‘ ich mich doch tot“, hat er getönt, was ein bißchen unverschämt klingt bei einer Abwehr, die in den vergangenen siebzehn Spielen nie verloren und dabei gerade vier Tore zugelassen hat. Aber was heißt das schon für einen, der, wie die Zocker das nennen, einen „Lauf“ hat.

So richtig auf der Rechnung stand er am Anfang nicht einmal bei Trainer Vicini: Vialli, Carnevale, Mancini, Serena, Stürmer allesamt mit weitaus größerer Reputation. Und dann kommt er, als keiner treffen will, eine Viertelstunde vor Schluß gegen Österreich, und köpft gleich ins Netz. Gegen die USA darf er bereits 40 Minuten ran, und seitdem steht ganz vorn im italienischen Spiel Salvatore Schillaci. Vier Tore verbucht er jetzt in fünf Spielen, nicht wenig in einer Mannschaft, die zusammen nur sieben erzielt hat.

Und alle schwärmen sie: Uruguays Trainer Tabarez lobt die „Schnelligkeit und Explosivität“, für Karl-Heinz Rummenigge ist er „ein Phänomen“, dem Polen Boniek, in Italien heimisch, gefällt „sein Egoismus“, Trainer Vicini „die Courage“. Schillaci hat von vielen etwas: ein bißchen Gerd Müller, ein bißchen Klaus Fischer, ein bißchen Uwe Seeler. Klein (1,75m) und stämmig fegt er übers Feld, und ziemlich unerschrocken. Wie ein Kreisläufer im Handball rannte er an der irischen Abwehrkette hin und her, selbst wenn das Leder in der anderen Hälfte war, gänzlich un beeindruckt von der Erfahrung, daß irische Bohnenstangen über recht harte Ellbogen verfügen.

Gegen Ende habe ihn die anderen dann ziemlich allein gelassen. Da zogen sie sich zurück in die eigenen Hälfte und wehrten sich gegen den Druck und die hohen Flanken. Es war so, wie sie es befürchtet hatten: Unermüdlich suchten die Iren ihre Chance, nicht unbedingt schön anzusehen, aber „mit Herz“ (Jack Charlton). Immer wieder flogen die Bälle in den Strafraum, und nachdem Anthony Cascarino für Niall Quinn eingewechselt wurde (53.), brachte das vermehrt Unsicherheit für Walter Zengas Tor.

Und Toto allein auf weiter Flur. Kommt mit zurück, schnappt sich den Ball, läuft, schaut, spielt ab, bringt für kurze Zeit Luft und die Zeit über die Runden. Nicht auszudenken, was werden wird. Schon vor dem Spiel haben sie T-Shirts verkauft mit seinem Bild und dem Schriftzug „Toto, sei grande“ (Toto, du bist großartig), wenn sein Name aufgerufen wird, tobt das Publikum mehr als beim Römer Giannini, Messina will ihn zum Ehrenbürger machen - aber das werden sie in Palermo kaum dulden.

Dort ist er geboren, am 1.Dezember 1964, und das Haus Nummer4 in der Via Luigi Barba ist schon heute, wie die 'Repubblica‘ schreibt, zu einem „Wallfahrtsort“ geworden. In der sizilianischen Hauptstadt haben sie zuhauf die Trikolore aufgehängt mit seinem Konterfei, 10.000 Lire das Stück, aber, kaum daß sie hängen, sind sie heruntergeholt: Was für ein Souvenir!

Salvatore Schillaci ist ein Spätstarter. Im vergangenen Sommer noch kickte er in Messina, untere Klasse, ehe ihn Juventus nach Turin holte, Ende März erst durfte er zum erstenmal das Trikot der Azzurri überstreifen. Kein Wunder, daß er, wenn sie ihn nach seinen Empfindungen fragen, immer wieder von Träumen und von Märchen erzählt.

Und die Iren hätten fast eines geschrieben. Es hat nicht gereicht am Ende, aber sie sind verabschiedet worden wie sonst keine Mannschaft hier. Keine Pfiffe gegen den Gegner, das hat es bei dieser WM noch nicht gegeben, wenn Italien spielte. Respektabel haben sie sich geschlagen, denn, angegriffen anfangs schon in der eigenen Hälfte, haben auch Spieler wie Baresi und Donadoni eine ganze Weile gebraucht, Köpfe und Beine zu ordnen, ganz so, wie sie es befürchtet hatten. Und sind dann doch ins Schwimmen gekommen. Daß der Schiedsrichter wie schon gegen Uruguay nicht gerade gegen sie war, hat wohl auch ein wenig geholfen.

Jetzt dürfen sie nach Neapel, im Halbfinale gegen Maradona und die Seinen. Aber davon wollte fürs erste keiner was wissen. Wie überhaupt nicht der Tag der großen Reden war. Jack Charlton hatte die erfolgreiche WM am schnellsten abgehakt: „Ich geh‘ jetzt ins Hotel, nehm‘ ein paar Drinks, sing‘ ein Lied, und am Montag bin ich beim Fischen.“ Good luck.

Irland: Bonner - Morris, Moran, McCarthy, Staunton McGrath, Houghton, Townsend, Sheedy - Aldridge (79. Sheridan), Quinn (53. Cascarino)

Italien: Zenga - Baresi - Bergomi, Ferri - Donadoni, de Agostini, de Napoli, Giannini (63. Ancelotti), Maldini Schillaci, Baggio (71. Serena)

Zuschauer: 73.303

Tor: 0:1 - Schillaci (38.)