28. Parteitag der KPdSU eröffnet

■ Schon zeichnet sich eine konservative Mehrheit ab / Selbst Gorbatschow wird Federn lassen müssen / Nach Meinung Oppositioneller hat Gorbatschow wieder einmal zuviel zwischen den Flügeln taktiert

Aus Moskau Barbara Kerneck

Trotz des Gerangels über die Terminfrage ist es seit Freitag abend klar: Heute beginnt der 28. Parteitag der KPdSU, der über die Zukunft der Partei, die nunmehr schon mehr als 70 Jahre an der Macht ist, entscheiden wird. Die Frage ist sogar, ob sich die Partei spalten wird. Die 4683 Delegierten werden auf dem über 10 Tage dauernden Kongreß über ein neues Programm, Parteistatut und die Struktur ihrer Führung beraten. Mit dem sich abzeichnenden Aufstand der Konservativen wird auch Gorbatschows Stellung berührt.

„Wird der nächste Parteitag auch noch in so einem schönen Saal stattfinden, wie es der Georgssaal im Kreml ist?“ spottete am Samstag die Zeitung 'Moskowskij Komsomoljez‘ und spielte damit auf die Gegensätze zwischen der Partei und den lokalen Mächten an: dem Obersten Sowjet der Russischen Föderativen Sowjetrepublik und dem Moskauer Stadtsowjet. Dieser hatte am Freitag beschlossen, alle öffentlichen Gebäude der Stadt in Munizipaleigentum zu überführen und dafür Miete zu nehmen - auch von der KPdSU.

Ein letztes Mal tagte am Samstag die oppositionelle „Demokratische Plattform“ in der KPdSU. Wenn deren Mitglieder auch nur knapp 2% der Parteitagsdelegierten stellen, so wird ihr Einfluß auf dem Parteitag doch kaum zu übersehen sein - der durch die liberalen Stadtparteiorganisationen und den gesamten Komsomol, den Jugendverband der KPdSU, verstärkt wird. Der Jugendverband distanzierte sich von der überstürzten Gründung einer russischen KP mit stockkonservativer Mehrheit und rief zu konsequenter innerparteilicher Demokratie, zu einem Parteiaufbau nach föderalistischem Prinzip auf.

Während die Fraktionen mobil machten, wollte Gorbatschow noch einmal den Rechten ebenso wie den radikalen Liberalen beweisen, daß er über beiden Fraktionen steht, und stieß damit alle vor den Kopf: Dem Sprecher der Fernsehabendnachrichten am Samstag stockte geradezu der Atem, als er den neuesten Ukas des Präsidenten der UdSSR verlas. „Auf Bitten des Komitees für Staatssicherheit“ sei Generalmajor Oleg Kalugin seines Ranges und aller seiner Dienstauszeichnungen entkleidet worden, wegen „Handlungen, die die Ehre und Würde eines Mitarbeiters der Staatssicherheitsorgane besudeln“, „ich zitiere“, fügte der Sprecher nach den letzten Worten entschuldigend hinzu. Kalugin, vor kurzem noch einer der Chefs der KGB -Gegenspionage, hatte sich kürzlich über die sowjetischen und internationalen Medien an die Bevölkerung gewandt (siehe auch taz vom 25.6.): Diese Behörde sei ein Staat im Staate, nichts habe sich in ihrem Geiste seit Stalin, ja seit der zaristischen Ochrana geändert, und das „neue Gesicht“ des KGB bestünde nur aus Make-up. Kalugin hatte dabei weiß Gott keine Staatsgeheimnisse ausgeplaudert. In einem Atemzug mit dessen Degradierung gab Gorbatschow drei UdSSR-Emigranten ihre Staatsangehörigkeit zurück, die man ihnen vor Jahren abgesprochen hatte, ebenfalls wegen Ehrlosigkeit. Es handelt sich um den Dissidenten-Patriarchen Wladimir Maximow, den Biologen Schores Medwedjew und den Schriftsteller Alexander Sinowjew (Gähnende Höhen), der sich über die bewußten „Organe“, die Sowjetunion insgesamt und sogar ihre Bewohner allgemein giftiger geäußert hat, als Kalugin es je könnte.

Tagsüber wurde in Moskau schon über einen Handel Gorbatschows mit den Rechten spekuliert, nachdem in einem 'Prawda'-Interview der „Falke“ Jegor Ligatschow die „Konsolidierung der Parteikräfte“ beschworen hatte und der Leiter des Parteitag-Pressezentrums, Alexander Kapto, nach langem Bohren der Journalisten über die Resultate des eintägigen ZK-Plenums am Freitag abend eine Persunalunion zwischen dem UdSSR-Präsidenten und dem Generalsekretär oder Vorsitzenden der Partei als „wünschenswert“ bezeichnete. Doch diese Stellung wird entwertet. Der Erste Sekretär soll es nämlich sein, der am Drücker des Apparates sitzt.

Die Basis der Partei schmilzt inzwischen dahin. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres traten 130.000 Mitglieder aus, ebensoviele wie im ganzen letzten Jahr.