Innenminister Diestel verläßt die DSU

■ Knatsch auf dem Parteitag der CSU-Schwesterpartei / Desaster für die Bayernpartei: Favorit Nowack fällt bei der Wahl durch

Aus Leipzig Luitgard Koch

Im Foyer der Leipziger Agra-Halle joggt der verstorbene bayerische Ministerpräsident Franz Josef Strauß über den Videobildschirm. An der Kaffeetheke verkündet ein weißblaues Plakat „CSU grüßt die DSU“. Dahinter steht ein voller Korb mit Brezeln auf dem Tisch. Eine milde Gabe der Mutterpartei CSU aus dem Westen. „Ka‘ ma jetz hier scho mit ordentlichem Geld zahlen“, will der CSU-Bundestagsabgeordnete Herrmann Fellner aus Amberg wissen. „Freili.“ Franz Stangl, der junge Oberpfälzer, nickt. Der stellvertretende Vorsitzende aus Schwandorf wurde erst vor wenigen Tagen von der CSU nach Leipzig abkommandiert, um die Schwesterpartei auf Vordermann zu bringen.

In der wenig erfolgreichen Satellitenpartei der Strauß -Erben - bei den Kommunalwahlen in der DDR erzielte die DSU knappe vier Prozent - ging es nämlich im Vorfeld des ersten ordentlichen Parteitags am Wochenende hoch her. Nicht nur von Spaltung war die Rede. Im Mittelpunkt des Streits stand Innenminister Peter Michael Diestel, der die Partei mitbegründete und ihr erster Generalsekretär war. Unbeliebt hat sich der 38jährige Melker bei seinen Parteifreunden vor allem mit seiner zögerlichen Auflösung des Stasi-Apparates und der geplanten Übernahme von Spionagechef Markus Wolf als Berater gemacht. Diestel wiederum warf ihnen vor, innerhalb der Partei setzten sich „rechtsradikale Tendenzen“ durch.

„Ich hab ihm g'sagt, er muß kommen, wenn er mich als Berater will“, verrät Fellner dem jungen JUler Stangl. Und tatsächlich sitzt der schöne Minister im tadellos sitzenden, dunkelblauen Nadelstreifenanzug bereits hinter der Bühne. Eingerahmt wird er von CSU-Generalsekretär Erwin Huber und dem bayerischen CSU-Innenminister Edmund Stoiber. Leise und eindringlich reden die beiden auf Diestel ein. Denn er will der Partei den Rücken kehren, falls Hansjoachim Walther, der Fraktionsvorsitzende der DSU in der Volkskammer, zum neuen Vorsitzenden gewählt wird. Walther ist auch nicht der Traumkandidat der Schwarzen aus Bayern, hat er doch immer wieder, frech und ohne sich mit den CSU-Oberen abzusprechen, eine Ausdehnung der DSU in die BRD erwogen. CSU-Favorit ist der amtierende Parteichef und Strauß-Fan Hubertus Nowack. Der Computerfachmann aus Leipzig bezeichnet sich dann auch selbst als „CSU-Element“ und bemüht sich umsonst, daß der innerparteiliche Streit nicht öffentlich wird.

„Demokratie braucht etwas anders als tagelang Diskussionen über die Satzung, schließen Sie jetzt die Satzungsdiskussion, das wäre mein Rat“. CSU-Chef Theo Waigel drängt die knapp 400 DSU-Delegierten, endlich mit der Wahl zu beginnen. „Herr Waigel, ich danke Ihnen sehr für diese Hilfestellung, so markant und autoritär hätte ich das nicht machen können.“ Tagungspräsident Jürgen Schwarz scheint erleichtert. Doch die Rechnung der CSU-Oberen geht in keinem Punkt auf. Mit 334 Stimmen gegen 147 wird Walter, der ehemals jüngste Mathematikprofessor der DDR aus Ilmenau, zum neuen Parteichef gewählt. Und es kommt noch dicker. Nowack fällt auch als Stellvertreter durch. „So muß Demokratie sein, alle haben gesagt, der Nowack wirds, jetzt haben wir den Schwarz durchgesetzt“, freuen sich zwei Delegierte auf ihrer Bank. Der Walther-Spezi und schneidige Oberlehrer Jürgen Schwarz setzt sich mit 238 Stimmen durch.

„Wenn bei einem italienischen Innenminister die Forderung aufgestellt wird, er soll in drei Monaten die Mafia abschaffen, käme man in Italien vor Lachen nicht mehr in den Schlaf“, versucht sich Diesel hinsichtlich der Kritik an der zögerlichen Stasi-Auflösung zu rechtfertigen. Seine Vorwürfe, DSUler unterhielten Kontakte zu rechtsradikalen Kreisen, hält er aufrecht. Aber auch nach der Wahl seines Kontrahenten Walters schweigt Diestel. „Ich werd zu Hause erst mal eine Flasche Cognac öffnen und überlegen“, läßt er die Journalisten beim Einsteigen in seinen Volvo wissen. Auch sein bereits zurückgetretener Pressesprecher Thomas Junker will nichts über die Absichten des Ministers verraten. Die Limousinen des CSU-Trosses - außer Waigel und Stoiber waren auch der CSU-Landtagschef, Alois Glück und Minster Jürgen Warnke angereist - sind schon vom Platz gerollt. Im Hinterzimmer halten der neue Parteichef Walther und sein Stellvertreter Schwarz ihre erste Pressekonferenz ab. „Es war nur einmal ein ehemaliges REP-Mitglied aus Hessen bei mir“, versucht Walther die Kontakte zu rechten Kreisen zu verharmlosen. Was die Ausdehnung der DSU in Richtung BRD betrifft, bleiben die DSUler unsichere Kantonisten. Nur wenn CSU-Chef Waigel sein Versprechen keine Fünf-Prozent-Hürde bei den gesamtdeutschen Wahlen einlöst, werden sie sich auf die DDR beschränken, läßt Walther durchblicken.

Doch für die abgereisten CSUler kommt es noch dicker. Kurz vor Ende des Parteitags verliest Walther die Austrittserklärung Diestels. Nach wieviel Gläsern Cognac er sie geschrieben hat oder ob Walther sie längst in der Tasche hatte, ist unklar. Fest steht jedoch, daß der geschickte Politiker bereits eine neue politische Heimat anvisiert. Der CDU-Minister im Amt des DDR-Regierungschefs, Klaus Reichenbach, rechnet bereits mit seinem Parteieintritt.