„Das ist der Supergau der Demokratie“

■ Die Übernahme der DDR-Energiewirtschaft durch West-Konzerne wäre eine energiepolitische Katastrophe

INTERVIEW

Lutz Mez ist Energiewissenschaftler an der Freien Universität in West-Berlin und Mitautor einer Studie über die DDR-Energiewirtschaft.

taz: DDR-Umweltminister Steinberg sagt, ohne West-Kapital sei an eine ökologische Sanierung des verrottenden Kraftwerksbestands der DDR nicht zu denken, es sei unsicher, ob im nächsten Winter nicht die Lichter ausgehen. Was bleibt ihm da anderes übrig, als die Bedingungen zu akzeptieren, die die West-Konzerne diktieren?

Lutz Mez: Gerade auf dem Energiesektor muß er sich nichts diktieren lassen. Da hat die DDR große Spielräume durch den Rückgang beim Stromverbrauch, der allein im ersten Quartal dieses Jahres bei 16 Prozent lag. Engpässe im Winter wird es also nicht geben. Darüber hinaus stehen neue Kraftwerke oder Leitungen ohnehin frühestens in drei bis fünf Jahren zur Verfügung. Die an den Tag gelegte Hast ist nicht nachvollziehbar.

Trotzdem: Ohne West-Kapital geht nichts.

Das ist richtig. Aber man braucht nicht das Kapital der Stromkonzerne. Jede Bank, jede Kredit- oder Sparkasse und auch die Europäische Investitionsbank stehen jedem als Kreditgeber zur Verfügung, der in der DDR in ein sinnvolles Energiekonzept investieren will.

Worin besteht die Hauptgefahr der geplanten Übernahme der DDR-Stromwirtschaft durch die drei WestKonzerne?

Eine derartige Konzentration der Stromwirtschaft hat es nicht mal im Dritten Reich gegeben. Da soll ein gewaltiges Verbundunternehmen unter dem Dach des Rheinisch -Westfälischen Elektrizitätswerks (RWE, größter privater Stromkonzern der Bundesrepublik, Red.) installiert werden. Im Klartext werden 16 Millionen Energieabnehmer inklusive der zugehörigen Industrie unter das Diktat der westdeutschen Stromkonzerne gestellt.

Welche Alternativen hat denn die DDR angesichts der ja zweifellos bitter notwendigen ökologischen Sanierung des Energiesektors?

Die Alternative ist, aus einer energiepolitischen und ökologischen Nachhutposition in die europäische Spitze vorzudringen. Die DDR muß sich die fortschrittlichste Energietechnologie besorgen. Die wird zum Beispiel in Dänemark und den USA schon umgesetzt. In der Bundesrepublik scheitert das ja gerade an der Machtposition der Stromkonzerne.

Das große Kapital aus Westdeutschland und Technik aus den energiepolitischen Vorreiterländern. Wie soll das gehen?

Der Kapitalbedarf ist gar nicht so gewaltig. Da wird mit getürkten Zahlen gearbeitet. Der eigentlich teure Teil sind die Atomkraftwerke, auf denen die DDR laut Vertrag ja nun auch sitzen bleiben soll. Wenn die DDR stattdessen auf modernste Kraftwerktechnik setzt, kommt sie statt auf die von Steinberg berechneten 50 Milliarden nur noch auf die Hälfte.

Übt sich die Volkskammer im Zusammenhang mit dem Stromvertrag nur im demokratischen Schattenboxen?

Das ist der Supergau der Demokratie, die absolute Entmachtung der Volksvertreter. Da soll bar jeglicher Rechtsgrundlage praktisch ein Privatvertrag zwischen einem Minister und den Strommonopolen in der Bundesrepublik geschlossen werden. Das Volkseigentum wird an die westdeutschen Firmen übereignet. Daß das die Parlamentarier mitmachen, ohne den zuständigen Minister schnellstens abzuwählen, ist für mich völlig unverständlich.

Ist politisch vorstellbar, daß Steinberg unterschreibt, obwohl in der Volkskammer eine deutliche Mehrheit gegen diesen Vertrag votiert?

Das ist zumindest zu befürchten.

Interview: Gerd Rosenkranz