: „Phantomenale Proteste“ in Hamburg
■ Zur Uraufführung des „Phantoms in der Oper“ in Hamburg-Altona schwere Straßenschlachten zwischen Polizei und DemonstrantInnen / In der Hamburger City alles außer Kontrolle / Polizei mußte vor der Randale kapitulieren
Aus Hamburg Kai v.Appen
Hamburgs Innensenator Werner Hackmann hatte es allen Premierengästen des „Phantom of the opera“ fest versprochen. Trotz angekündigter „phantomenaler Proteste“ werde die Polizei eine ruhige Gala-Vorstellung garantieren. Doch es kam anders: Noch bevor am Freitag abend die edlen BesucherInnen die Bühne der tanzenden Phantome am Holstenbahnhof in Hamburg-Altona erreichten, entzündete sich in der Hansestadt ein stundenlanger Straßenkampf zwischen Polizei und DemonstrantInnen.
Premierengäste wurden mit Eiern beworfen, bespuckt oder mit Bier übergossen. Über neun Stunden lang lieferten sich eine unüberschaubare Menge von Kommerz-Kultur-GegnerInnen und 3.500 PolizistInnen heftige Straßenschlachten. Die Polizei ging mit Wasserwerfern, Panzern und Schlagstöcken gegen die DemonstrantInnen vor.
Die Beamten wurden mit einem Hagel von Flaschen, Steinen und Leuchtraketen eingedeckt. Der Polizeiarmee gelang es nicht, die Lage unter Kontrolle zu bringen. Die Unruhen weiteten sich auf mehrere Stadtteile der inneren westlichen City aus.
Begonnen hatten die Auseinandersetzungen bereits am frühen Nachmittag. Trotz generellem Demonstrantionsverbot versammelten sich im Schanzenviertel rund 400 Phantom -GegnerInnen, um gegen den Bau des Musikpalastes in Altona zu demonstrieren.
Unverzüglich trieb die Polizei mit Wasserwerfern die Menge auseinander. Trotzdem gelang es 500 Phantom-GegnerInnen, teilweise mit gestiltem Outfit, sich wenig später trotz polizeilichem Belagerungszustand vor dem Neubau am Holstenbahnhof zu versammeln.
Dies bekamen die ersten Premierengäste zu spüren. Beim Stolzieren zum Eingangsportal wurden sie von KommerzgegnerInnen bespuckt, mit Bier, Cola und Wasser übergossen, am Weitergehen gehindert oder an der Kleidung gezerrt. AnwohnerInnen des seit Jahren umstrittenen Theaterbaus empfingen die illustren Gäste mit Sprechchören „haut ab, haut ab“, nachdem sie bereits ihre Häuserfassaden am Nachmittag mit antiphantomenalen Transparenten geziert hatten.
Als die Polizei daraufhin mit Wasserwerfern den Platz räumte, war das Debakel perfekt. Immer mehr AnwohnerInnen des Viertels strömten auf die Straße und versammelten sich vor den Polizeisperren. Ein ganzer Stadteil geriet völlig aus Rand und Band.
Trotz des Einsatzes von einem Dutzend Wasserwerfern gelang es der Polizei nicht, die Straße längerfristig freizubekommen. Als die Premierengäste die Sperren mit ihren Karossen durchfahren wollten, wurden sie erneut mit Tomaten und faulen Eiern beworfen. Teilweise wurden auch die Windschutzscheiben ihrer Karossen eingeschlagen. Viele Premierengäste kamen nur bekleckert in die Gala -Vorstellung.
Während im Phantom-Theater schließlich mit 45minütiger Verspätung die Phantome über die Bühne tanzten, schwappten die Straßenkämpfe auf die benachbarten Stadtteile über. Autos wurden in Brand gesteckt, in St.Pauli, Altona und dem Schanzenviertel Barrikaden errichtet.
Die Polizei mußte kapitulieren. Konzeptionslos rasten die Festnahmezüge umher, setzten sich teilweise in den engen Straßen selber matt. Wasserwerfer spritzen völlig planlos in die Gegend. Ihren Frust reagierten die Beamten am Ende durch Knüppelorgien ab, die zumeist unbeteiligte Schaulustige trafen.
Selbst als gegen 23.30 Uhr die Phantome ausgetanzt hatten, lediglich eine Armada von Panzern und Wasserwerfern den Phantom-Vorplatz zierte, war letztlich keine Ruhe eingekehrt. Die Zufahrtswege zur Fischauktionshalle, wo das Premierenessen stattfinden sollte, waren überall blockiert. Und aus den Häusern der AnwohnerInnen schallte es weiterhin zum Abschied: „Schämt euch, schämt euch.“
Nur mit letzter Energie gelang es der Polizeiarmee, den Konvoi der schicken Gäste unbegehelligt zum Abschlußessen zu bringen und das Millionen-Dinner wirkungsvoll zu schützen. Erst in der Morgendämmerung trat dann wieder Ruhe in Hamburgs Westen ein.
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