„Die Spaltung der KPdSU würde der Perestroika nutzen“

■ Gorbatschow-Berater Daschitschew warb im „Deutschen Haus“ vor Bremer Unternehmern für ein gemeinsames „Europäisches Haus“

„Die Frage ist doch, um es mal banal zu sagen, wie die Banane auf den Frühstückstisch kommt?“ Doch um die Banane, wie der Präsident des „Industrie-Clubs Bremen“, Harms, es sagte, ging es dem sowjetischen Historiker Wjatscheslaw Daschitschew ei

gentlich nicht, als er gestern über die außenpolitischen Doktrin seines Landes von Stalin bis Gorbatschow referierte. Die Landeszentrale für politische Bildung hatte sich zusammen mit Professor Eichwede vom Osteuropa-Institut der Universität um einen

Bremen-Besuch des engen Beraters von Außenminister Schewardnadse und Staatschef Gorbatschow bemüht, der Industrie-Club hatte für die Spesen und das Essen gesorgt, den angekündigten „Vortrag des Jahres“ allerdings erst hinter dem Nachtisch angesetzt.

Und so dämmerten denn 60 Bremer Unternehmer eher in den Nachmittag hinüber, und auch CDU-Fraktionschef Kudella mußte seiner Verdauung mehr Aufmerksamkeit widmen als den sanft gesprochenen Worten des Moskauer Historikers. Dabei enthielten die so harmlos gesprochenen Sätze viel mehr Pfeffer und Salz als die gerade verdrückten Schweinelendchen.

„Wir waren fast 70 Jahre von der westlichen Zivilisation abgeschottet, erst jetzt stellen wir diese menschlichen Grundwerte wieder her“, wetterte Daschitschew gegen den Stalinismus und seine Anhänger, die noch heute die Behörden und Ministerien bevölkern. „Nach dem Krieg verwandelte sich die Sowjetunion vom Befreier zum Unterdrücker

der Völker Osteuropas“, warf er den „Konservativen“ seines Landes vor, die er für „unfähig“ hält, „eigene Schwächen zu erkennen.“ So verstricke sich der „Apparat“ heute immer tiefer in die eigenen Widersprüche, fordere zum Beispiel die Neutralität Deutschlands, obwohl der gerade wieder enstehende größte Staat Mitteleuropas genausogut „ohne Gefahr für die Sowjetunion in der Nato bleiben“ könne. 40 viel zu lange Jahre habe sich die Sowjetunion mit der Teilung Deutschlands am meisten selber geschadet.

Ein Friedensvertrag komme nach so langer Zeit überhaupt nicht mehr in Frage, referierte Daschitschew, „es kann auch kein zweites Versailles geben, denn das erste hat schon sehr negative Folgen gehabt“. Auch die Doktrin des militärischen Gleichgewichts sei mit der faktischen Auflösung des Warschauer Pakts heute weder möglich noch nötig. „In Europa existieren keine totalitären Staaten mehr, die eine Bedrohung wären“, und mit den taktischen Atomwaffen der Roten

Armee sei die Sowjetunion ausreichend geschützt, „dafür brauchen wir keine fünf Millionen Soldaten mehr“. Schließlich sei die Sowjetunion Ende der 20er Jahre auch mit nur 450.000 Soldaten gegen die 100.000 Mann starke Reichswehr gewappnet gewesen. „Man muß den Militärs

die Trümpfe nehmen“

Die größte Bedrohung der Sowjetunion sieht Daschitschew eben im eigenen Land - im „Apparat“ und innerhalb der Roten Armee. „Man muß unseren Militärs die Trümpfe nehmen“, warb er um Abrüstung auch in der Nato. Und westliche Kredite sollte möglichst an den Staatsorganen vorbei direkt an „vertrauenswürdige Firmen“ vergeben werden - „sonst könnten sie womöglich zur Stärkung des Apparats beitragen“. Aus dem gleichen Grund wünscht sich der Historiker auch den großen Krach in der Kommunistischen Partei: „Eine Spaltung würde der Perestroika nützen“, denn noch komme der Widerstand vor allem

von „innerparteilichen Hardlinern um Ligatschow“.

Vor einer Zukunft der sowjetischen Wirtschaft als Billiglohn-Paradies für die Konzerne, die Daschitschew mit Gewinnabsicherung und freiem Kapitaltransfer ins Land locken möchte, hat der Gorbatschow-Berater keine Angst: „Die Lage ist katastrophal, der Markt muß erstmal schnell gesättigt werden, sonst ist die ganze Perestroika in Gefahr.“ Sinnvoll sei dafür zum Beispiel auch die Schaffung von „Freihandelszonen im Baltikum und in Ostpreußen“. Kaliningrad werde schließlich nicht mehr als Marinebastion benötigt.

Die Bremer Unternehmer vernahmen die Werbung des sowjetischen Wissenschaftlers für ein „gemeinsames europäisches Haus“, in dem - „nach dem Vorbild der EG“ alle zum gegenseitigen Nutzen zusammenarbeiten nur schwach. Ihnen lag noch die Sahne-Banane unter Schokoladensauce schwer im Magen, die ihnen der Industrie-Club im „Deutschen Haus“ aufgetischt hatte.

Dirk Asendorpf