Schweiß, Bier und Tränen

■ Das Fußball-Viertelfinale: Im Tempodrom die deutsche Fahne, im Strada-Keller multikulturelle Begeisterung

West-Berlin. Noch bevor ein fußballbeschuhter Fuß das lederne Rund berührte, floß dünnes Bier und vor allem klebriger Schweiß in Strömen: Wie in diesen Tagen üblich, rief das Tempodrom auch am Sonntag alle linken Fußballfans vor die ausgeblichene Großbildleinwand zum Spiel CSFR-BRD, und über 3.000 quälten sich bei endlich ausgebrochenem strahlenden Sonnenschein unter das dunkelgrüne Zeltdach. Es kam der Schwierigkeit eines Hattricks nahe, sich vor dem Anpfiff rasch noch den obligatorischen Gerstensaft zu besorgen, im herrschenden Saunaklima nicht spontan ohnmächtig zu Boden zu sinken und sich außerdem noch einen Platz zu sichern, an dem man auch noch sehen konnte.

Doch schon nach wenigen Minuten war alle Nörgelei vergessen, einschließlich des Zwiespalts, ob es möglicherweise nationalistisch sei, die bundesdeutsche Mannschaft zu favorisieren: An diesem Nachmittag hatte „unsere“ Elf einen klaren Symphatievorschuß, kümmerliche Reste eines multikulturellen Bewußtseins zeigten sich allerhöchstens beim gellenden Pfeifkonzert während der Nationalhymne. Hoooooooo! Schwoll es aus Hunderten von bierbenetzten Kehlen, wenn Litti eine Ecke trat, der von Matthäus verwandelte Foulelfmeter riß das torbegierige Publikum endgültig von den schweißnassen Bänken, und spätestens zu diesem Zeitpunkt wedelten die ersten Deutschlandlappen vor der Leinwand herum. Als „wir“ gewonnen hatten, dachte niemand mehr an die lahmarschige zweite Halbzeit, und auch der immer penetranter werdende Schweißdunst im Tempodrom wird spätestens bis zum Endspiel wieder vergessen sein.

Nicht die grobschlächtige Linke, sondern die linke „Elite“ traf sich dann abends zum Spiel England-Kamerun. Im Bierkeller des „Strada“, wo sich in diesen Tagen vom Radio -100-Redakteur bis zum ehemaligen Europaabgeordneten der Grünen beim billigen Bier alles vorm Fernseher versammelt, wollten alle nur eins: noch einmal den Anblick des Millaschen Hüftschwungs genießen, noch einmal die Kameruner siegen sehen. Bier und Stimmung schwappte hoch, als Nekeke die Afrikaner in der 64. Minute in Führung schoß, Schenkel klatschten, selbst die Holzbänke zitterten euphorisch, und der engagierte Journalist warf sich voller Begeisterung seinem Kollegen in die Arme. Zu früh - denn schon elf Minuten später gelang den britischen Rotschöpfen der Anschlußtreffer. In der Verlängerung war niemand mehr zu bremsen - weder die Kameruner Elf noch das Bierkellerpublikum. Ob der glatzköpfige Milla oder der bezopfte Makanaky, ein „Ja, ja, los, vorwärts“ begleitete jeden Paß und jeden Spurt. Um so entsetzter das „Nein!“, als der Schiedsrichter in der Verlängerung auf den Elfmeterpunkt wies, so mancher starrte fassungslos auf die (wievielte?) Bierflasche in seinen Händen, als das Spiel durch das 3:2 für die Engländer entschieden war.

Martina Habersetzer