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■ Freyers „Glass-Werk“ als Trilogie in Stuttgart

Aus aller Welt sind die Phil-Glass-Fans nach Stuttgart gepilgert, um drei Tage lang hintereinander das musiktheatralische Opus summum des New Yorker Künstlers zwischen den E- und U-Musik-Stühlen noch einmal bewundern zu können. In zwei Zyklen jeweils wurden die drei Opern vorgestellt: Satyagraha, die mittlerweile doch recht hausbackene Gandhi-Apotheose über den gewaltlosen Widerstand, Echnaton, das dunkle, von Mystik und altägyptischer Mythologie überfrachtete Ausstattungswerk, und Einstein on the beach, ein sehr abstraktes und kühl ästhetizistisches Nach-Bauhaus-Spektakel.

Besonders die letzte Produktion ist dank der Inszenierungskunst Achim Freyers, der auch den beiden anderen Opern seinen Stempel aufgedrückt hat, noch aktueller geworden. Sie beschränkt sich nicht auf die Wiederholung allseits bekannter Regieklischees, sondern setzt die Zeichen der Zeit souverän und provozierend ein, versucht sie zu einem Gesamten wieder zusammenzubinden - vergeblich, wie Achim Freyer in einem Gespräch einräumt. Eine Oper auch, die keine mehr sein will, sondern eher eine Mischung aus Hörspiel, Performance, Kunstgeschichte, Schauspiel, Tanztheater, Graphik und Musik darstellt, ein besonderer Videoclip also, wie wir ihn als Augen- und Fernsehmenschen lieben.

Die Wiederaufnahme von Elementen der zwanziger Jahre mischt sich in Freyers Einstein-Phantasie mit einer guten Portion Science Fiction und technischem Bewußtsein, wie es heute überall anzutreffen ist: Bauhaus und Schlemmer -Disziplin, Kandinsky und das Spiel der reinen Formen; Farbe, Figur, Raum und Reglementierung, Punkt, Linie, Fläche. Doch wie in den zwanziger jahren wird der übermächtig scheinende Rationalismus und Konstruktivismus (der sogar in den dreißiger Jahren den neuen Menschen hat züchten wollen), durch Sprache, Graffiti (Satyagraha), Bilder und surreale Effekte (Echnaton) oder informelle Überlagerungen (Einstein) gebrochen.

Die Satyagraha-Musik aus dem Jahre 1981 pendelt parallel zur Statuarik der Handlung und dem Zeitlupentempo a la Robert Wilson auf der Bühne stilistisch zwischen der frühen, noch experimentierfreudigen Einstein-Komposition aus dem Jahre 1976 und der späteren, bereits wie Popmusik dahinplätschernden Echnaton-Melancholie (1984) hin und her. In allen drei Beispielen sind reichlich viel und monoton genug Tonleiterübungen zu hören, stellenweise sogar einstimmig - zwei Stufen auf und ab, damit hat sich's. Dann und wann eine dezente Bitonalität, ansonsten werden kurze Dreiklangmotive aus wenigen Tönen oder Silbenketten dauernd wiederholt (das Repertoire des Chores reicht vom Altägyptischen über indischen Sanskrit bis zu Zahlenreihen von eins bis sieben).

Rhythmische Vertracktheiten gibt es nur im frühen Einstein, der in Stuttgart wieder von Michael Riesman aus dem New Yorker Phil Glass-Ensemble dirigiert worden ist. Insgesamt huldigt die Minimal Music aller drei Opern einem Technizismus, der an Warhols Seriegraphien oder Instantgetränke erinnert. Konsequent deshalb auch des Komponisten Faszination für die Maschine, zumal er sich nach eigenen Aussagen beim Komponieren nicht von „Absicht und Gefühl“, sondern rein von technischen Problemen leiten läßt.

Freyers Inszenierungen signalisieren auf der Opernbühne schon seit geraumer Zeit das Ende des (wilden) Neo -Expressionismus der letzten Jahre, parallel zu dem Phänomen, daß Graphik und Design, Stilisierung, Computer, neue Techniken ganz allgemein auch in der Kunst in den Vordergrund rücken, ja selbst das tägliche Leben - Hand in Hand mit Einsamkeit und Atomisierung - immer mehr beherrschen. Baudrillards Ekstase der Objektivität, die zu einer leeren und „reinen“ Form implodiert auf Kosten auch der Menschen, die allesamt schließlich verschwunden sind (eine Andeutung davon erlebt der Zeitgenossen auf der Einstein-Bühne, deren Geschehen sich ebenso wie die Musik von Glass fast vollautomatisch abspulen könnte) diese These hat an diesem Abend in Stuttgart nicht besser illustriert werden können.

Reinhold Urmetzer