Vereinigung andersrum

■ Durch die Angleichung des DDR-Rechts an BRD-Normen droht die Herabstufung der Ostberliner Schwulenpolitik auf bundesdeutsches Niveau

V.Beck, G.Dworek, K.Friedel

„Den Zonis schiebt man jetzt doch alles hinten rein“, grummelt der Volksmund-West lustneidig. In den privaten schwulen Joint-ventures Ost-West soll es freilich weitaus egalitärer zugehen. Und zwischen den schwulen Bewegungen beider Deutschländer? Droht da auch der Anschluß an das bundesdeutsche Politikmodell? Soll da einfach zusammenwuchern, was vielleicht gar nicht so eng zusammengehört?

Christopher-Street-Day 1990: Im Westen nichts Neues, in der DDR eine Premiere. Der traditionelle Kampftag hat 1990 für die schwulen Bewegungen beider Deutschländer eine neue Qualität. Es geht nicht mehr allein um ein pflichtschuldiges Aufsagen des alten Forderungskataloges, sondern auch darum, daß davon in der DDR bereits Erkämpfte im Vereinigungsprozeß zu verteidigen. Abschaffung der strafrechtlichen Sonderbehandlung von Homosexualität, Antidiskriminierungsbestimmungen in zentralen Gesetzen, schwulenfreundliche Programmaussagen im Parteienspektrum von PDS bis Ost-CDU. Ein erster politischer Durchbruch, wie ihn die BRD-Schwulenbewegung zwar 20 Jahre lang lauthals eingeklagt, selten aber konsequent verfolgt hat, ist in der DDR 1989 flüchtige Realität geworden und droht nun im Anschluß wieder kassiert zu werden, ohne daß Zeit blieb, das politisch Durchgesetzte auch gesellschaftlich wirksam zu verankern.

Eine andere

Geschichte

Erst zehn Jahre nach dem bundesdeutschen Start entwickelte sich eine Schwulenbewegung in der DDR. Frühere Organisationsversuche wurden von der auf sozialistische Moral bedachten, allerorten Opposition witternden Staatsmacht zum Scheitern gebracht.

Die Schwulenbewegung in der DDR hatte in gewissem Sinne den Vorteil, auf den Erfahrungen und dem theoretischen Vorlauf der westdeutschen Schwestern aufbauen zu können, damit auch aus ihren Fehlern zu lernen. Ab 1982 formierten sich Schwulengruppen in den evangelischen Kirchengemeinden und agierten damit in einem bis in die Revolutionszeit tragfähigen Kontext mit der Friedens-, Ökologie- und Menschenrechtsbewegung. Ende der achtziger Jahre wurden auch erste nichtkirchliche Clubs vor allem im Freidenkerverband und in der FDJ zugelassen.

Das Spannungsverhältnis von Opposition und gesellschaftsverändernder Kraft eines pragmatischen und sachlichen Diskurses mit der Staatsmacht hat die DDR -Bewegung geprägt. Man operierte zwischen der Realität der Repression und der damit verbundenen Erfahrung, als potentielle gesellschaftliche Kraft gewertet zu werden. Mit Erfolg noch in den letzten Jahren der alten DDR: 1988 strich die Volkskammer das Äquivalent des bundesdeutschen 175 endgültig aus dem Strafgesetzbuch, stellte Homo- und Heterosexualität zumindest im Strafrecht gleich. Endlich wurde auch in der DDR das Tabu um Homosexualität gebrochen, konnte sich schwules Leben in Zeitschriften, Büchern und Filmen darstellen.

Mitten in dieses nun staatliche sanktionierte Coming-out platzte die Umwälzung der DDR-Gesellschaft des Herbstes 1989. Schwule und Lesben waren von Anfang an dabei. Es gab, vor allem in Berlin, einen „Oppositionskonsens“, daß die Schwulen- und Lesbenbewegungen „dazugehören“, ihre Ziele und Forderungen Teil des gemeinsamen demokratischen Umbaus sein müßten. In der Phase der Runden Tische bewies dieser Konsens seine Tragfähigkeit. Erstmals in der deutschen Rechtsgeschichte wurde der Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung in wesentlichen Gesetzen verankert: Dazu gehört in erster Linie der Verfassungsentwurf des Runden Tisches, das Vereinigungs- und das Parteiengesetz, sowie die Wahlgesetze. Praktisch bedeutet dies, daß Parteien und Vereinigungen, die Homosexuelle diskriminieren oder Forderungen aufstellen, die auf die Diskriminierung von sexuellen Minderheiten abzielen, Gefahr laufen, verboten oder von Wahlen ausgeschlossen werden zu können.

Nach dem 18.März, nach dem Übergang von aufgeklärter Bürgerrechtspolitik hin zum parlamentarischen Anschlußregiment kam auch die schwulenpolitische Erfolgsphase zu einem vorläufigen Stillstand. Jetzt weht ein anderer Wind. Bei den Verhandlungen zum ersten Staatsvertrag drängten die Bonner Ministerialbeamten massiv darauf, „unsere“ Antidiskriminierungsklausel aus dem damals noch zur Debatte stehenden Verfassungsentwurf zu tilgen. Die Weichenstellungen scheinen damit klar: Die Macht am Rhein besteht auf dem Recht auf Diskriminierung.

Das Glück

im Ghetto

Widerstand ist angesagt gegen die Herabstufung der DDR -Schwulenpolitik auf bundesdeutsches Niveau. Angesichts des rasanten Tempos der Gleichschaltung der DDR stellt sich wieder verschärft die Frage nach einer effektiven schwulen Interessenvertretung, nach der Fähigkeit und dem Willen, politisch einzugreifen. Und leider sieht's mau aus im Westen.

Zugegeben, man hat es schwer. Schwulenpolitik besitzt keinen Nachrichtenwert, wenn „große Geschichte“ gemacht wird. Auch die Linke und das Bürgerrechtsspektrum in der BRD scheren sich einmal mehr keinen Deut um den schönsten Nebenwiderspruch der Welt. Von (sexual-)emanzipatorischer Thematik hat nur der Paragraph 218 den Sprung über die Relevanzhürde der Medienwelt geschafft. Sein Schwesterparagraph 175 bleibt außen vor. Im einig Vater-Land hat Homosexualität keinen politischen Ort.

Die westdeutsche Schwulenbewegung konnte ohnehin nie einen finden. Als zu spät gekommenenes Kind der Studentenrevolte fehlt ihr die Erfahrung eines radikalen gesellschaftlichen Umbruchs, die Erfahrung der gleichberechtigten und selbstverständlichen Partizipation in einer Bürgerrechtsbewegung. Man richtete sich im Schlechten gut ein, und hat's auch zu was gebracht: Neben der Glitzerwelt der kommerziellen Subkultur wurde ein veritables Netz an schwuler Infrastruktur aufgebaut, vom Buchladen bis zum Tagungshaus, vom Sportverein bis zu Schwulenzentren, deren breite Akzeptanz mancherorts erstmals so etwas wie „gay community“ erahnen läßt. Nur, zu viele sind es damit zufrieden, ihre Zitronenröllchen nicht mehr beim Heterobäcker kaufen zu müssen.

Aufruhr tobt nur dann im Ghetto, wenn einer der eigenen vom rechten Weg abweicht. So abgeschmackt es sein mag, daß sich eine Rosa von Praunheim dem 'Spiegel‘ als Kronzeugin andiente, so überdreht ihre Philippika auch war, die Reaktionen der schwulen Szene sind es nicht minder. Gut katholisch wurde zurückgeschlagen. Statt Rosa da, wo nötig, zu widerlegen, hat man sie exkommuniziert, durch Aberkennung ihres Namens zur Unperson erklärt. Unter ging bei diesem Sturm im Wasserglas wieder einmal die Auseinandersetzung über die Defizite schwuler Aids-Arbeit, über die allgemeine Laschheit beim Eintreten gegen die Entrechtung und Verelendung von Menschen mit HIV und Aids.

Trotz der Vielgestaltigkeit des schwulen Lebens hielt man im Westen nicht viel von Pluralismus, um so mehr aber auf rigide Alternativnormen. Der alte Avantgardeanspruch aus den siebziger Jahren: „Der Schwule ist lebendiger Protest“ hat seinen utopischen Gehalt verloren und ist bei seinen Propheten in pure Negation umgeschlagen.

Gleiches Recht

für alle

Der kurze Frühling in der DDR wird als bloße Fußnote in die Homo-Historie eingehen, wenn es der Schwulenbewegung nicht gelingt, den Widerstand gegen die Gleichschaltung der DDR -Gesetzgebung in eine Debatte über die gesellschaftliche und rechtliche Situation Schwuler auszuweiten, die homosexuelle Frage als Bürgerrechtsfrage zu formulieren, den Anspruch auf radikale Gleichberechtigung für alle relevanten Rechtsbereiche durchzubuchstabieren. Der Gleichstellungsgedanke des DDR-Gesetzgebers aus der Zeit der Runden Tische muß in der Formulierung eines Antidiskriminierungsgesetzes konkretisiert und fruchtbar gemacht werden.

Denn auch im worst case, der völligen Plättung der DDR -Ansätze nach der Vereinigung, darf die Schwulenbewegung nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Ist der Paragraph 175 nicht in der Rechtsangleichung zu kippen, dann nur im Rahmen einer umfassenden Kampagne für radikale Gleichstellung.

Allerdings, die Frage der Gleichberechtigung wird mittlerweile an einem ganz anderen Punkt symbolisch wie real entschieden - bei der so heiß umstrittenen Homo-Ehe. Nirgendwo sonst manifestiert sich die überkommene Selbstverständlichkeit von Diskriminierung so greifbar wie in der völligen Rechtlosigkeit schwuler Lebensgemeinschaften. Dort liegt, das haben Schwulenorganisationen in anderen Ländern längst begriffen, der archimedische Punkt, das Diskriminierungssyndrom zumindest rechtspolitisch auszuhebeln, einen großen Sprung nach vorn für alle Schwulen zu schaffen, ob sie sich ewiglich binden oder lieber tausend Hochzeitsnächte auf der Klappe feiern wollen.

Gewiß, gleiche Rechte schaffen noch keine Emanzipation, genausowenig aber ist das gute schwule Leben nur in der Unterdrückung denkbar, wie diejenigen suggerieren, die immer einwenden, Gleichstellung bedeute die Übernahme der Heteronorm, die Auflösung schwuler Indentität. Schwulenbewegte, die beständig das wesensgemäß Subversive des Homosexuellen beschwören, befürchten groteskerweise, die Schwulen würden scharenweise überlaufen, wenn der Staat ihnen nur den kleinen Ringfinger bietet. Da scheint so manche erworbene Identitätsschwäche vorzuliegen, die der vielgeschmähte „gewöhnliche Homosexuelle“ wohl längst hinter sich gelassen hat. Gleichberechtigung unter Wahrung der Differenz, das trauen die schwulen Fundis der sozialen Basis schlichtweg nicht zu. Es herrscht ein eigentümlicher Konservativismus, verkleidet als radikale Pose, der genau das bewirkt, was schwuler Reformpolitik immer vorgeworfen wird: Stabilisierung des Bestehenden.

Eingreifen

statt zusehen

Gleichberechtigung kommt nicht von selbst, auch wenn manche Schwulenbewegte in bizarrer Selbstüberschätzung ständig befürchten, der Staat wolle sie kaufen und befrieden. Daß die BRD ein schwulenpolitisches Entwicklungsland blieb, daran war die Bewegung in den letzten Jahren nicht ganz unbeteiligt. Es ist hohe Zeit, die Umsetzung des gesellschaftlich schon Möglichen endlich in Angriff zu nehmen. Solange das nationale Hoch die politische Großwetterlage bestimmt, sind schnelle Erfolge zwar eher unwahrscheinlich. Dennoch, unverhofft kommt oft. Mit Wahlsiegen von Rot-Grün a la Niedersachsen kann von heute auf morgen die Chance da sein, wie nun in Hannover zumindest erste Schritte auf den Weg zu einer dezidierten Gleichstellungpolitik durchzusetzen: Eintreten für rechtliche Gleichstellung, Förderung schwuler Infrastruktur, und (leider nur) eine Stelle für Schwulenpolitik bei der Landesregierung.

Nachdem auf der parlamentarischen Ebene bislang die Grünen den steinigen Acker der Schwulenpolitik allein bestellten, geht die Saat langsam auch bei anderen Parteien auf: 1989 konnte sich der sozialliberale Hamburger Senat durchringen, im Bundesrat eine Initiative zur ersatzlosen Streichung des Paragraphen 175 einzubringen. Angesichts dessen drohender Restauration auf dem Territorium der DDR ein wichtiges Signal, auch wenn die meisten SPD-Länder aus Angst vor dem gesunden Volksempfinden bislang nicht mitziehen wollen. Terraingewinn auch bei der Aids-Enquete-Kommission des Bundestages: Erstmals empfahl sozusagen ein Parlamentsausschuß ein breites Paket von Antidiskriminierungsaktivitäten, von der strafrechtlichen Gleichstellung bis hin zum Adoptionsrecht.

Die gesellschaftliche Enttabuisierung von Homosexualität hat die Politik erreicht, und die Bewegung-West zeigt sich handlungsunwillig, statt überall dort, wo eine Bresche geschlagen wurde, kräftig nachzustoßen. Einen „politischen Arm“, der gezielt interveniert, gesellschaftliche Institutionen konsequent penetriert, ließ sie nie zu. Auch der 1986 gegründete „Bundesverband Homosexualität“ wurde schnell von den wabernden Diskursen der Siebziger eingeholt. Man gründete einen Verband, um alles so zu lassen wie bisher. Der dort geübte Zusammenschluß aller schwulenbewegten Brüder vom autonomen Lager bis hin zu Unionsmitgliedern erwies sich als politisches Nullsummenspiel: Rechtsangleichung / 175 steht auf der Tagesordnung, statt alle Kräfte dagegen zu mobilisieren, diskutiert man lieber über Pädophilie. Gesetzgeberische Schritte im Bereich der nichtehelichen Lebensgemeinschaften liegen in der (Bonner) Luft, die Einbeziehung schwuler Partnerschaften hält man für ein „unsittliches Angebot“.

Die Kehrseite

der Medaille

Ein absurder Richtungsstreit mit dem Effekt der Selbstblockade. Die hausgemachte Formschwäche der Schwulenbewegung ist um so bedenklicher, als sich der Enttabuisierungsprozeß doppelgleisig ausgewirkte. Einerseits haben sich schwule Partizipationschancen erhöht, andererseits wurde ein Bodensatz an militanter Homophobie verstärkt mobilisiert. Besonders die DDR erlebt eine massive Wiederkehr des Verdrängten. Bedrohungen durch Faschos gehören für Schwulengruppen wie -kneipen beinahe schon zum Alltag. Im Westen haben die ebenfalls zunehmenden Überfälle an Schwulentreffpunkten seltener einen explizit politischen Hintergrund, sind aber keinen Deut weniger erschreckend. In ihren patriarchalen Wertmustern verunsicherte Jungs versuchen dabei, sich in einem Ritual der Macht ihre Männlichkeit zu bestätigen, nach dem Motto: „Geh'n wir Schwule klatschen im Park.“

Gleichberechtigung

in der Differenz

Hier wären endlich die fundamentalen Fragen zu stellen, nach den inneren Verwüstungen tradierter Männerrollen, nach Zwangsheterosexualität, nach dem Gewaltpotential verdrängter homosexueller Anteile. Es herrscht Schweigen. Die fundamentalistische Kritik beschränkt sich darauf, mißtrauisch zu beargwöhnen, daß manche Schwulenorganisationen wenigstens Schritte zur Symptombekämpfung ausloten, eine kritische Kooperation mit der Polizei proben. Die Opferrolle immer wieder antizipierend, kommen die Gralshüter reiner schwuler Lehre gar nicht auf die Idee, vom Staat auch hier gleiches Recht zu fordern. Wenn der Millionen ausgibt, um Heteros beim Wochenendvergnügen im Fußballstadion Polizeischutz angedeihen zu lassen, kann er genausogut dafür Sorge tragen, daß Schwule im Park ungestört ficken können.

Die Akzeptanz von Parks und Klappen als Orte institutionalisierter Promiskuität hat in einer Politik, die sich die Emanzipation, Partizipation und Integration der Schwulen zum Ziel gesetzt hat, den gleichen Stellenwert wie die rechtliche Absicherung schwuler Lebensgemeinschaften.

Denn Gleichstellung bedeutet nicht Anpassung an die Welt der Heterosexuellen, sie ist notwendige Rahmenbedingung, um die bislang elitär gebliebene Schwulenemanzipation zu demokratisieren, ohne dabei Endziel sein zu können. Integration ist nicht denkbar als Aufgehen in den herrschenden heterosexuellen Strukturen, sondern nur in einem grundlegenden Prozeß der Umgestaltung der gesellschaftlichen Geschlechterrollenzwänge hin zur Befreiung der vielfältigen sexuellen Fähigkeiten und Möglichkeiten Aller. So weit, so einig. Nur, daß für Schwule die Konstituierung als soziale Minderheit Voraussetzung ist, um an einem solchen Prozeß zu partizipieren, bleibt im Westen heftig umstritten.

In der DDR-Schwulenbewegung scheinen derlei Identitätskrisen nicht vorhanden zu sein. Selbstbewußt hat man als Schwuler einer alles kontrollierenden Staatsmacht getrotzt. Mit einer an den Lebensinteressen der Schwulen orientierten pragmatischen Bürgerrechtspolitik versucht man nun einzugreifen, wo immer sich Ansätze für gesellschaftliche Veränderung eröffnen. Auch die nur „partielle Verbesserung der Lage der Schwulen“ wird als erstrebenswerter Erfolg gewertet, den man mit dem Aufbau einer „einheitlichen, schlagkräftigen Organisation“ systematisch anzugehen versucht. Wir meinen, die Richtung stimmt. Mögen die Lambsdorffs, Kohls und Vogels auch gen Ostland reiten und dort ihr Politikmodell oktroyieren, für die kommende Reichsschwulenpolitik wünschten wir uns die Vereinigung lieber andersrum.

Karsten Friedel ist Sprecher des Schwulenverbandes in der DDR (SVD). Günter Dworek ist Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Schwulenpolitik der Grünen, Volker Beck arbeitet als Schwulenreferent bei der grünen Bundestagsfraktion. Dworek und Beck sind auch Funktionsträger im Bundesverband Homosexualität (BVH).