Der Herr Präsident ...

■ ... hat keinen, der ihn grüßt

Aus Wien Hazel Rosenstrauch

Es gibt in Wien nicht viele Kaffeehäuser, in denen eisbekleckerte halbnackte Kinder herumlaufen können, eines davon ist im Volksgarten, gleich hinter der Hofburg. Dort wo, wie jedes Wiener Kind weiß, unser Präsident residiert. Es ist ein hübsches Cafe, genauer gesagt eine Meierei, mitten im Park, grün, schattig, mit Blickkontakt zur Sandkiste. Und da sitzt er, unser Bundespräsident Waldheim, von dem man kaum etwas hört oder liest. Während mein Sohn in Unterhosen und barfuß herumläuft, muß er einen dunkelblauen Anzug tragen. Der Mann neben ihm sieht nicht aus wie ein Bodyguard und erst recht nicht wie ein Staatsbesuch, wahrscheinlich muß ihn irgendein Mitarbeiter auf diesen Exkursionen begleiten. Er lächelt in die Gegend, und niemand beachtet ihn. Er geht durchs Gartentor, und keiner grüßt ihn. Wo doch sonst rund um jeden Herrn Kommerzialrat und jede Frau Magister Verbeugungen entstehen. Vor seiner Residenz hängt fast immer die Fahne, sie ist das Zeichen, daß der oberste Landesvater im Haus ist.

Zum Leidwesen seiner Mitarbeiter, seiner Parteifreunde und auch seiner Gegner ist er fast immer da, weil all seine Bemühungen, eine Einladung zu bekommen, scheitern. Selbst sein Freund Helmut Kohl lädt ihn nicht ein; die westlichen Staatsbesucher kommen entweder gar nicht nach Österreich oder bevorzugen einen Trip nach Graz oder Salzburg, mit den komischsten Ausreden. Er gehe gerne Bergsteigen, soll der norwegische Ministerpräsident gesagt haben. Vom Staatsakt in Namibia wurde Waldheim wieder ausgeladen, weil sonst die Amerikaner nicht gekommen wären. Als die neue tschechoslowakische Botschafterin bei einer Pressekonferenz gefragt wurde, wann Vaclav Havel nach Wien käme, antwortete die geistreiche Frau, Havel hätte vom „Bierfaßlschupfen“ Rückenschmerzen. Und als jemand nachfragte, ob er Waldheim besuchen werde, soll sie gesagt haben „über seine Privatpläne weiß ich nichts“. Der ganze Saal brüllte vor Lachen. Irgendjemand hat die Statsbesuche, die Havel in zwei Monaten absolviert, mit denen verglichen, die sein österreichischer Kollege in zwei Jahren abstattete und der HBP (das heißt Herr Bundespräsident, wenn sein Name nicht genannt werden soll) schnitt bei dem Vergleich immer noch schlecht ab. Die Statistik über Auslandsreisen und -besuche erwähnt ein paar Besuche in afrikanischen und arabischen Ländern; aber sonst hat er wenig zu tun, auch meine Freundin sah ihn neulich im Kaffeehaus.

Er versucht, sich ins Gespräch zu bringen und gab einer israelischen Zeitung ein Interview, da schrieb man wieder über ihn - in Form von hämischen Kommentaren über seine Kunst des Dementierens.

Um die KSZE-Konferenz nach Wien zu holen, hat der Präsident sogar versichert, daß er nicht als Gastgeber auftreten werde - die Konferenz fand trotzdem nicht in Wien statt. Nachdem Ralf Dahrendorf die Salzburger Festspielrede abgesagt hatte, durfte an seiner Statt ein konservativer Innsbrucker Ökonom das Spektakel eröffnen usw. usf. Und dabei könnte Wien die Konferenzen so gut brauchen. Gerade jetzt, wo der Kampf um den Titel einer Hauptstadt Mitteleuropas so lebenswichtig geworden ist. Nachhaltigen Schaden aber erlitt auch die „linke“ Opposition. Gestärkt und vereint durch ihre Kampagnen (oder wie der Präsident zu sagen beliebte: die Kampain) gegen Waldheim, hatte sie 1988 den „Republikanischen Club“ in einem hübschen Lokal mitten in der Innenstadt gegründet. Seit das Thema Waldheim out ist, fehlt die Gemeinsamkeit. Der Spaltpilz hat diesen einzigen Treffpunkt der radikalen Opposition befallen, kein Thema hat je wieder so gezündet. Niemand hat mehr Lust, die Mumie wiederzubeleben, nicht einmal „seine“ Partei, die ÖVP. Nur er selbst, so hört man, würde gerne wieder kandidieren. Und weil schon so mancher im Wiener Kaffeehaus von der Muse geküßt wurde, sind seine Besuche im Volksgarten vielversprechende Staatsarbeit. Ich glaube, er arbeitet an einem Dementi, er hatte so einen zuversichtlichen Blick.