Im „Platteland“ weht noch kein neuer Wind

■ In Südafrikas ländlichen Gebieten ist von der Reformpolitik noch kaum etwas zu spüren / Selbstschutztruppen der Weißen / Armut und Angst unter den Schwarzen

Aus Hendrina Hans Brandt

Hendrina ist ein Dorf am Straßenrand; ein kleines Dorf wie hundert andere, in dem man unterwegs anhält, um zu tanken oder eilig Hunger und Durst zu stillen; ein Dorf, das im Rückspiegel schnell in den weiten Flächen des südafrikanischen „Platteland“ versinkt und aus dem Gedächtnis verschwindet. Tankstellen am Ortseingang und -ausgang, farblose Imbißtuben, die imposante Kirche, die Lagerhalle der Farmerkooperative - die Hauptstraße von Hendrina könnte statt 200 Kilometer östlich von Johannesburg auch 1.000 Kilometer südlich oder 400 nördlich oder westlich der Metropole liegen.

In diesem Ort mit den Standardfassaden haben Präsident Frederick de Klerks Versprechungen eines „neuen Südafrikas“ keine Veränderung bewirkt. Hier bleiben die 1.200 Weißen „Baas“ (Herr) und „Madam“, die etwa 9.000 Schwarzen „Kaffer“ und „Meid“. Und so wird es auch bleiben - das beteuern die Weißen, und das glauben resigniert die Schwarzen. Denn seit den Kommunalwahlen im Oktober 1988 kontrolliert die ultrarechte Konservative Partei (CP) fast alle Ortsverwaltungen in der Provinz Transvaal. Auch in Hendrina ist die CP am Ruder.

Nur arme und folgsame Schwarze sind geduldet

Große Kakteen mit gelben Dornen bewachen den Eingang zum Haus von Gideon du Preez, Vorsitzender des Managementkomitees in Hendrina. Im Wohnzimmer fegt ein etwa zwölfjähriger schwarzer Junge die Asche aus dem Anthrazitkohleofen. Im Juni, im Winter, wird es nachts eisig kalt. „Ach verzeihen Sie“, entschuldigt sich Frau du Preez für die graue Staubwolke, „das kleine Geschöpf kann das noch nicht besser.“ Dann scheucht sie den Jungen in den Garten, wo er energisch Unkraut jätet, während „Papa“, wie sie ihren etwa siebzigjährigen Mann nennt, seinem Unmut über de Klerks Reformen freien Lauf läßt.

„In Hendrina werden wir Widerstand leisten“, meint du Preez, „wenn uns die Reformen aufgezwungen werden.“ Die erste Reform, von der Hendrina betroffen sein wird, ist die vor kurzem vom Parlament verabschiedete Abschaffung der Rassentrennung in öffentlichen Einrichtungen, die im Oktober in Kraft tritt. Der Dorfrat von Hendrina hat sich darauf schon vorbereitet. Man will sich, so eine Resolution von Anfang Juni, „auf demokratische und ordentliche Art wehren egal, was die Konsequenzen sind“. „Wir wollen getrennt von den Nichtweißen wohnen“, sagt der CP-Stadtrat. „Wir wollen unsere eigenen Einrichtungen haben, aber wir werden den Schwarzen auch ihre eigenen Einrichtungen geben.“

Noch größere Sorgen macht er sich allerdings um die Möglichkeit, daß im kommenden Jahr die Rassentrennung in Wohngebieten abgeschafft werden könnte. „Das wollen wir wirklich nicht dulden, daß die Schwarzen sich hier zwischen uns ansiedeln.“ Er macht auch keinen Hehl daraus, daß er sich davor fürchtet: „Die sind in der Mehrheit, die kommen mit ihrem Haß hier ins Dorf, um uns auszumerzen. Die wollen hier nur einziehen, um uns alle eines Nachts zu ermorden.“

„Burenkommandos“ rüsten zum Kampf

Um sich gegen solche Bedrohung zu verteidigen, haben sich in ganz Südafrika Zehntausende von Weißen bewaffnet. In vielen Orten patrouillieren Selbstschutzgruppen in den weißen Wohngebieten, und weiße Extremisten haben schon geheime „Burenkommandos“ gegründet, die sich auf einen Krieg vorbereiten. Auch in Hendrina gibt es ein solches Kommando. „Die Regierung hat einen großen Fehler gemacht, als sie die Waffen der Ortsgruppen des Militärs eingezogen hat“, sagt du Preez. „Sie hat die Weißen entwaffnet. Jetzt bewaffnet sich jeder selbst.“

Du Preez hat seine Erfahrung als Stadtrat im Windhuk, der Hauptstadt Namibias, gesammelt. In dem dieses Jahr unabhängig gewordenen Land ist die Integration von Schwarz und Weiß reibungslos verlaufen. Aber den stolzen Buren überzeugt das nicht. „Es geht um unsere Kultur, unsere Identität“, meint er. „Wir sollen unser Lebensniveau zugunsten der Nichtweißen senken. Dazu sind wir nicht bereit.“

Solange die Schwarzen in separaten Gebieten wohnen, ist du Preez allerdings bereit, ihnen patriarchalisch zu helfen auch wenn Kwazamakuhle, das drei Kilometer nördlich von Hendrina gelegene Wohngebiet für Schwarze, eigentlich der Regional- nicht der Ortsverwaltung untersteht. „Wir arbeiten gut zusammen, wir helfen den Nichtweißen.“

Kein politischer

Widerstand

Die Zusammenarbeit ist tatsächlich gut - denn Widerstand wird in Hendrina nicht geduldet. Weder der Afrikanische Nationalkongreß (ANC), noch die Vereinigte Demokratische Front (UDF) oder andere Oppositionsgruppen sind in Hendrina vertreten. „Wenn die Polizei sieht, daß du die Farben des ANC trägst“, berichtet Klaas Motau, ein 19jähriger Tankwart, „wirst du zusammengeschlagen.“

So genießt der ANC zwar eine gewisse Sympathie, aber die Schwarzen in Hendrina haben nie die Erfahrung gemacht, daß sie politisch organisiert den Weißen Veränderungen abringen können. Vielleicht sind sie deshalb skeptisch, was die Gespräche zwischen ANC-Vizepräsident Nelson Mandela und Präsident de Klerk angeht. „Wir werden abwarten müssen“, meint Motau, „ich glaube, daß sich vielleicht anderswo was ändern wird. Aber hier in Hendrina nie.“

Politische Entwicklungen sind ihm ohnehin weniger wichtig, als die tägliche Armut. „Wir haben ein sehr schlechtes Leben, kriegen viel zu wenig Geld.“ Er arbeitet täglich zehn Stunden, meist bis tief in die Nacht. Jetzt, im Winter, kauert er nachts vor einem kleinen Heizofen in einem Verschlag neben den Tanksäulen. „Jeden Freitag nehme ich hier mehr als 2.000 Rand ein, aber ich kriege trotzdem nur 69 Rand (etwa 45 Mark) die Woche.“

Motau hat die Schule nach dem neunten Jahr aufgegeben. „Ich brauche Geld, um meine kleine Tochter zu unterstützen“, sagt er. Und die Lebenshaltungskosten steigen ständig. Schon die Miete für ein Haus in Kwazamakuhle, 35 Rand (22 Mark) im Monat, kann er sich kaum leisten. „Der Ort ist ohnehin vollkommen überfüllt, und zusätzliches Land, um neue Häuser zu bauen, gibt es nicht.“ Das bestätigt Everton Tukwane (36), ein schwarzer Stadtrat in Kwazamakuhle. „Wir brauchen Land, wir schicken Briefe nach Pretoria, aber unsere Briefe werden nicht beantwortet“, sagt er. Tukwane beteuert, daß er als Stadtrat sein Bestes tut, um das Leben der Bewohner von Kwazamakuhle („der Ort, den wir schön machen wollen“) zu verbessern. Aber er weiß auch, daß Oppositionsgruppen seine Arbeit nicht unterstützen. Hunderte von schwarzen Stadträten sind in den letzten Jahren als Kollaborateure der Apartheid ermordet oder zum Rücktritt gezwungen worden. Am liebsten würde er die Arbeit als Stadtrat aufgeben

„Jetzt, wo Mandela frei ist, sollte ich ihm folgen“, sagt Tukwane. Aber er klagt: „Es gibt hier keinen ANC, der uns sagt, was wir tun sollen.“ Dennoch ist er sich bewußt, daß die Schwarzen sogar in Hendrina nicht vollkommen machtlos sind. „Die Weißen hören von Boykotten und haben Angst, ihre Gesetze durchzudrücken“, sagt er. „Und sogar Geschäftsleute von der CP wissen, daß wir Schwarzen ihnen Geld bringen.“ Tukwane lobt Mandela und de Klerk. Aber er ist dennoch skeptisch. „Die Leute wollen mehr Geld. Mehr Geld, das wäre wirkliche Veränderung. Zu sagen, daß alle gleichberechtigt sind, ändert nichts.“

„Mehr Geld,

das wäre Veränderung“

Das ist eine Ansicht, die ich immer wieder von Schwarzen in Hendrina und von Arbeitern auf den umliegenden Farmen höre. Diese Region ist berüchtigt für die Mißhandlung von Landarbeitern durch ihre weißen Herren. Für nichtige Vergehen werden Arbeiter an Bäume gefesselt und zu Tode geprügelt oder an ein Auto gebunden und durch den Busch gezerrt. Wenn solche Morde zu Gerichtsverfahren führen, werden die weißen Farmer meist zu einer kleinen Geldstrafe verurteilt, obwohl auf Mord in Südafrika noch immer die Todesstrafe steht.

Die Mißhandlungen haben angeblich in letzter Zeit abgenommen. Aber in der Nähe von Hendrina gibt es noch mindestens einen Farmer, der für seine Brutalität berüchtigt ist. „Dieser Mann ist schrecklich“, klagt Anna Mfulane, deren Mann bei ihm arbeitet. „Er macht uns das Leben schwer.“ Dabei ist ihr Leben schon schwer genug. Ihr Mann verdient 100 Rand (etwa 63 Mark) im Monat. Mais, den Landarbeiter normalerweise zusätzlich bekommen, gibt es nicht. Auch eigene Rinder dürfen sie nicht halten.

Dafür arbeitet Mfulane zwölf Stunden am Tag. Die Familie lebt in einer zerfallenen Wellblechhütte. Da kratzen ein paar Hühner im Sand, die Kinder spielen mit verrosteten Werkzeugen. Ob sie nicht zur Polizei gehen kann, frage ich. „Die Polizei?“, fragt sie erstaunt. „Die würden mich gar nicht anhören.“ Anna und ihr Mann wollen die Farm verlassen und versuchen, anderswo Arbeit zu finden. Die Aussichten dafür sind schlecht.

Den meisten der 1,3 Millionen Landarbeiter in Südafrika geht es ähnlich wie Anna Mfulane. Landarbeiter und Hausangestellte sind ausdrücklich von der Arbeitsgesetzgebung Südafrikas ausgenommen. Für sie gibt es weder Mindestlöhne noch Gewerkschaften noch Arbeitszeitbegrenzung oder Arbeitslosenhilfe. Löhne von 80 oder gar 60 Rand im Monat sind nicht ungewöhnlich, obwohl meist ein Sack Maismehl im Monat dazukommt. Auch haben viele Arbeiter die Möglichkeit, bis zu fünf Stück Vieh auf der Weide des weißen Farmers zu halten. Arbeitskleidung und medizinische Versorgung werden zum Teil von den Farmern übernommen. Aber letztendlich leben alle Farmarbeiter in einer feudalen Abhängigkeit von den weißen Herren. Wenn ein südafrikanischer Farmer von „meinem Volk“ spricht, meint er in der Regel nicht das Volk der Buren, sondern „seine“ Arbeiter.

Diese patriarchalische Einstellung teilt auch Adri Davel, Farmer und Vorsitzender eines Kreisverbandes der regierenden Nationalen Partei (NP) in der Nähe von Hendrina. „Unsere Leute sind Analphabeten und von uns abhängig“, sagt er, während wir im großen Wohnzimmer seines Farmhauses Tee trinken. „Mit ihnen gleichberechtigt zu verkehren, wäre nicht akzeptabel.“ Aber er meint, daß „unsere Zurückgebliebenen“ durchaus mit Hilfe der Weißen Fortschritte machen können.

Davel unterstützt zwar die Reformen der Apartheid, aber die Auswirkung auf Hendrina macht ihm Sorgen. „Das verursacht unglaubliche Spannungen hier auf dem Platteland“, sagt er. CP- und NP-Anhänger reden kaum noch miteinander. Überall, ob im Schulkomitee oder im Farmerverband, versuchen CP -Unterstützer an die Macht zu kommen, um Widerstand gegen die Reformen zu organisieren. „Das sind meine Nachbarn“, klagt Davel. „Es ist schrecklich.“ Deshalb müßten die Refomen so schnell wie möglich zum Abschluß gebracht werden. „Wenn die ersten positiven Ergebnisse kommen, dann werden viele Leute entdecken, daß wir nicht untergehen werden.“

In der Tat sind positive Ergebnisse eher für die Weißen abzusehen. Die Lockerung von Sanktionen beispielsweise oder die Möglichkeit, daß nach Jahren der Isolierung endlich wieder ausländische Sportmannschaften nach Südafrika kommen. Die schwarze Mehrheit dagegen wird noch lange auf konkrete Verbesserungen im täglichen Leben warten müssen.

„Leute, die sich bücken und zu allem 'Ja, Baas‘ sagen, werden auch in Zukunft Arbeit haben“, sagt Everton Magagula, der die Existenz seiner Eltern als Landarbeiter nicht ausgehalten hat und im Dorf Arbeit sucht. „Mandela und de Klerk reden miteinander, und wir werden abwarten, was da kommt. Aber hier, ich glaube nicht, daß das hier etwas verändern wird. Dies ist der schlimmste Ort der Welt.“