Ist doch normal

■ Nachbemerkungen zur Währungsunion

KOMMENTARE

Wenn man früher bei Gesprächen in der DDR endlich den Punkt ereicht hatte, an dem die wirklichen Probleme zur Sprache gekommen wären, tauchte prompt eine abschließende Formel auf: „Ist doch normal“. Reden wir nicht darüber, was uns beschäftigt! Da war nun der Tag der Währungsunion, die größte denkbare Umstülpung der Gesellschaft, die wahre Revolution, von oben gemacht, von unten gewünscht - und was gab es: keine Feiern, kein Feuerwerk, keine Demonstration, keine Huldigung der Massen an die Führer der DM-Revolution. „Ist doch normal“. Der erste Tag der neuen Zeit - der letzte Tag der DDR-Kultur. Die letzte geduldige Schlange vor der Deutschen Bank nun: „Ist doch normal“.

Bürger der Welt, schaut auf dieses Land, da geschieht Großes, aber es ist nichts los. „Gold“, so klagte Timon von Athen in Shakespeares gleichnamigem Stück, „macht ehrwürdig den Aussatz, ehrt den Dieb ... führt der überjähr'gen Witwe Freier zu.“ Und was verwandelt die DM? Sie verwandelt den Deutschen 2. Klasse nur zum Normaldeutschen. Nach dem ersten gesamtdeutschen Sommerschlußverkauf wird man den DDRler nicht mehr identifizieren können. Es sei denn, man lernt zuzuhören.

Die abgefahrenen Züge sind angekommen. Sie können ausrangiert werden. Und mit ihnen ehrwürdige, 40jährige Denkgewohnheiten: Das Hüben und Drüben, die deutsche Begegnung, das ganze deutsche double-bind bis hin zur Wehleidigkeit oder Arroganz der Täter und Opfer der deutschen Vereinigung. „Ist doch normal“. Nun gibt es zwei deutsche Normalitäten, die wiederum eine Normalität ergeben. Waren also die Gigantenkämpfe der Linken mit den Drohungen der Zukunft und den Warnungen der Vergangenheit, waren die Beschwörungen eines Großdeutschland, eines Vierten Reiches nur Schattenboxen? So wie jedenfalls in Ost-Berlin, Leipzig und Rostock die neue Zeit begrüßt wurde, war es eine Absage an den Nationalismus, auch den linken Nationalismus a rebours. Die Massen haben die deutsche Vereinigung nicht als welthistorisches Ereignis anerkannt. Vierzig Jahre Leben im Sozialismus, ein schlechter Traum - jetzt ist Tag, und die neuen Preise müssen verglichen werden. „Ist doch normal“.

Klaus Hartung