Bush verordnet der Nato Kosmetik

■ Neue US-Vorschläge vor der Nato-Konferenz in London sollen weitergehende Abrüstungsbeschlüsse blockieren

Washington (taz) - Die Nato rüstet sich zur Doktrinenkosmetik. In der vergangenen Woche hatte US -Präsident Bush den Abzug von 1.400 vornehmlich in der BRD stationierten Atomgranaten vorgeschlagen. Jetzt kündigte er eine Veränderung der gegenwärtigen Verteidigungsstrategie des westlichen Militärbündnisses an. Danach soll die Nato demnächst auf einen „frühen Ersteinsatz“ ihrer Atomstreitmacht im Rahmen der sogenannten „flexible response“ verzichten. Auch an der Doktrin der „Vorwärtsverteidigung“, so der Bush-Vorschlag, sollen „radikale“ Veränderungen vorgenommen werden. Einer der führenden Verteidigungspolitker des Kongresses, Senator Sam Nunn, unterstützte gestern diese, wie er sagte, „weitgehende Änderung“.

Sie scheint nur weitgehend. Die Vorschläge sind zunächst dazu ausersehen, die Position des sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow gegenüber seinen konservativen Kritikern vor allem aus den Streitkräften zu stärken. Gleichzeitig dienen sie innerhalb der westlichen Allianz dazu, alle weitergehenden Abrüstungsvorschläge und Nato-Reformen zu verhindern. Nichts, was die Bush-Administration und ein von Generalsekretär Wörner ausgearbeitetes Nato-Papier bisher anvisieren, geht über die militärische Akzeptanz der neuen politischen und geographischen Fakten in Europa hinaus. Der Verzicht auf einen „frühen Ersteinsatz“ von Atomwaffen gibt nur implizit zu, daß deren frühzeitiger Einsatz bisher integrierter Teil der Nato-Strategie war. Die von Italien, Belgien und auch Teilen der Bundesregierung favorisierte vollständige Abschaffung des Konzepts eines atomaren Ersteinsatzes ist damit von den USA erfolgreich torpediert worden. Die Veränderungen beim Vorwärtskonzept reflektieren lediglich die Tatsache, daß der Nato an der Ostgrenze die Feinde verschwunden sind. Und der Abzug der längst überflüssig gewordenen Atomgranaten soll lediglich von der weiterhin geplanten Stationierung der luftgestützten Abstandswaffen ablenken.

Sämtliche in London diskutierten Vorschläge werden dort keinesfalls beschlossen werden, sondern lediglich mit in eine auf 16 Monate veranschlagte Generalüberholung der Nato -Strategien und Doktrinen aufgenommen werden.

Rolf Paasch