Froschschenkel bei Fluglärm

■ Aussterbende Gebräuche: Ein Bummel über das 28. Deutsch-Französische Volksfest in Tegel / Versailles in Pappmache gegossen / Froschschenkel und sonnenbebrillte Manta-Fahrer

Tegel. Nicht gerade malerisch liegt das Deutsch-Französische Volksfest eingezwängt zwischen dem Airport und der Stadtautobahn. Ein ganz normaler Kommerzrummel ist das hier, am hinteren Ende angeschlossen sind einige Buden aus Pappmache. Die sollen für Frankreich werben und so aussehen wie Versailles. Deswegen hat man auch einen Papp-wasserfall angeschleppt, aus dem es sogar richtig träufelt.

Vereinzelt lassen sich Besucher entdecken zwischen den Tempeln der Ingenieurskunst, den Loopings, Kraken, Schiffsschaukeln. Für sie zeichnen die Teutonen verantwortlich, den Franzosen wird dafür weitestgehend die Gastronomie des Volksfestes überlassen. Manchmal ertönt ein spitzer Schrei, dann hat sich ein Mensch in einer Maschine erschreckt. Währenddessen Demokratieübungen im „Katapult“: „Wollt ihr jetzt den doppelten Looping vorwärts oder rückwärts?“ fragt ein Lautsprecher, eingezwängt zwischen Stahl und Gummi lächeln unverständlicherweise einige „Fahrgäste“ und deuten mit den Händen ihre Wunschrichtung an. Jeder in eine andere.

Es ist öd und leer hier, und das liegt nicht an den unter der Woche geringen Besucherzahlen. Es bemüht sich auch kein Mensch mehr, Jahrmarktatmosphäre zu erzeugen. Dafür gibt's heutzutage High-Tech. Ein gelangweilter Mann, Typ Manta -Fahrer mit Sonnenbrille im Porschedesign, hängt seinen Bauch über das Steuerpult und läßt einige Gondeln gondeln. Einzig bei seinem Mikrophonjockey ahnt man noch die Reste vergangener Zeiten. Doch auch dessen Sprüche sind so platt, daß sie beim dritten Mal nerven. „Ham Sie Froschschenkel oder gehen Sie immer so?“

Im Papp-Versailles kann man die jedenfalls kaufen. Kein Deutsch-Französisches Volksfest ohne diese Provokation, die schon längst alliierte Tradition in Berlin ist. 10 Mark die Portion. Dieses Potemkinsche Dorf besteht einzig aus Imbißbuden und Restaurants, und da das Reinheitsgebot nicht mehr gilt, kann man mittlerweile auch französische Dünnbierköstlichkeiten wie „33“ oder „Kronenbourg“ erstehen. Oben erwähnte Schenkel zucken hier in jeder Pfanne, Sandwiches (die die Deutschen Croques nennen) und Croques (die die Deutschen Sand wiches nennen) warten hier auf ihre Fresser. Hier immerhin könnte es mit einem Betriebsausflug noch ganz nett werden aber nur von Beginn des Nachtflugverbotes an.

Und dann, auf einmal, steht inmitten dieser pompösen Kulissen ein Mann mit einer Schere in der Hand, einem Strohhut auf dem Kopf und zwei Hockern neben sich sowie einem kleinen Tischchen mit einem Aufbau, an dem lauter Silhouetten hängen. Ein kleines Mädchen schaut im Profil, er schneidet schnell und exakt ihren Kopf ins Papier. Zwei Orte sind auf dem Volksfest zu entdecken, wo man in den Gesichtern der Kinder noch Bewegung entdecken kann: das kleine Flugkarussell - da fangen die Ängstlichen an zu heulen - und hier, bei Gerome, dem „Silhouettisten“ aus Lothringen. Den Kindern kommt es wie das Werk eines Magiers vor, halten sie nach zwei Minuten ihren Kopf in der Hand. Er kann noch lässig mithalten mit den Computerporträts, die einem an anderer Stelle angedreht werden sollen.

Bei der Hai-Show hinter Versailles hängt ein Schild aus: Junge Männer zum Mitreisen gesucht. Die Bewerbung des taz -Reporters ist von Erfolg gekrönt: „Aufbauen, Abbauen, den ganzen Kram machen“, sagt der Mann an der Kasse. „Ja, Frauen würden wir auch nehmen, aber eher fürs Bassin.“ Aber da schwimmen doch die gefährlichen Haie drin? „Die sind doch dressiert.“

Und langsam erscheint der Platz zwischen den Betonarenen Flughafen und Autobahn angemessen. Hier wird pflegeleichtes Amüsement geboten. Und das Unerwartete, Aufregende, das auf einem Volksfest auch erwartet wird? Das ist unbekannt verzogen.

Derweil donnern die Flugzeuge über das kleine Riesenrad, und bei jedem nieselnden Naß fragt man sich nun unwillkürlich, ob das vom Wasserfall kommt oder abgelassenes Kerosin ist.

Joachim Schurig