Ein Tisch ist ein Tisch

■ Die Mimentheatergruppe „Prospekt“ im Berliner Theater

Eine Tischgesellschaft ohne etwas auf dem Tisch. Leere Schnapsgläschen. Eine Frau und zu viele Männer. Stuhlwechsel, Partnerwechsel, dreier, zweier, einer. Dann sind sie alle raus. Unterm Tisch macht ein übriggebliebener Mann mit einer nicht übriggebliebenen Frau Liebe. Das Tischtuch ist gerade lang genug, daß man zu ihrem Stöhnen und Kichern zwei bewegte Stiefelpaare sehen kann. Er tut's für zwei und bleibt allein. Dunkel. Der Irre hat's gesehn. Er lötet sich mit einem kleinen Kolben von Nummer zu Nummer am selben Tisch, bis daß die Funken sprühen und sich das riesige, bunte, unter der Decke befestigte Räderwerk dreht. Er kommt zu keinem Ende. Dunkel.

Ein anderer ist sehr verzweifelt. Hängt sich den dicken Stein um seinen dünnen Hals und ab. Der Stein fällt vom Hals des Kandidaten, während er selbst zurückbleibt. Der Irre hat's gesehn und eilt ihm mit einem roten Faden zu Hilfe, bis daß der wirklich baumelt. Der Irre freut sich und bläst die Flöte. Die Frau ist jung und schön und stört den Irren, wenn der beim Klavierlehrer ist und singen üben muß. Sie spreizt die Beine auf den Tasten, und aus ist's mit dem Lied. Der eine fädelt stundenlang Fäden in Nadeln, der andere schleift die Schneide seines Schwertes, das einem riesigen Küchenmesser gleicht. Der eine reicht ihm zur Erfrischung bei schwerer Arbeit einen Becher, der andere kippt vergiftet um. Dann gurgeln sie gemeinsam. Geschluckt hat's keiner.

Szenen aus der jüngsten Produktion, der Geschichte Number Nine der Gruppe „Prospekt“ aus Tsheliabinsk. (Natürlich weiß wieder keiner, wo das liegt...) Die Gruppe, 1981 gegründet und im weitesten Sinne surrealistischen und absurden Theatertraditionen verpflichtet, tritt auf im Rahmen der Internationalen Woche Gestischen Theaters in Ost und West unter der Bezeichnung „Mimen“. Mit ästhetischer Pseudophilosophie a la Marceau hat dieser Begriff hier allerdings nichts zu tun. Die Gruppe bezeichnet sich als Gruppe von „Schauspielern, Clowns, Mimen und Musikanten, die in Jazz, Lachen und Zuschauer verliebt sind, mit voller Hoffnung auf Gegenliebe“.

Auf solche Gegenliebe mußten sie an diesem Abend vor einem drögen 40-Personen-Publikum, das zweifellos auf Zirkusklamauk oder Pantomimeszenen a la „einer geht eine imaginäre Treppe runter“ gewartet hatte, leider völlig verzichten. Die „Mimen“ leisten sich nämlich den Luxus sprachlicher und musikalischer Laute sowie einiger weniger Worte, während sie auf pantomimische Standardeffekte verzichten. Auch räumen sie mit dem Mythos auf, Clowns seien unsterblich. Der Steptanz bleibt im zweiten Schritt stecken, denn damit ist keine Frau mehr zu gewinnen.

Wer keinen Sinn hat für eine menschliche, lästige Katze, die sich jederzeit in einen kläffenden Hund und einen Folterknecht verwandeln kann, der ein auf dem Tisch schlafendes Opfer von einem Alptraum in den nächsten jagt, oder für undeutliche Gestalten, die schreiend, ächzend, flüsternd und keuchend im Dunkel den ewig leeren Tisch decken, sollte sich einen Abend mit dieser Gruppe schenken. Die Darsteller (Profischauspieler zwischen 19 und 29 Jahren) spürten nur zu gut, daß man ihren abstrusen Scherzen wenig Beifall zollte. Erst beim gekonnten blasmusikalischen Finale horchte das Publikum auf. Auf ihre musikalischen Qualitäten kann die Gruppe allerdings wirklich setzen. Vielleicht, so meinen sie, sollten sie hier auf ihre „Geschichte“ verzichten und sich ganz auf ihr Musikprogramm verlassen, aber „besser, wir kommen hier erst mal raus“, so ihr Kommentar nach ihrem Pflichtdebüt im Berliner Prater. Sie wollen lieber Straßentheater machen, „auf den Balkonen der Häuser, in Schaufenstern, auf Waldwiesen...“ Hoffen wir, daß das Wetter ihnen günstig ist!

Felicitas Hoppe

Theater „Prospekt“ aus der UdSSR ist noch zu sehen heute um 20 Uhr im Berliner Prater, Kastanienallee 7, 1058 Berlin. Das Programm für weitere Veranstaltungen im Rahmen der Internationalen Woche Gestischen Theaters liegt in den jeweiligen Spielstätten aus.