„Die Belegschaft ist am Kochen“

■ Kein Sauerbraten für Touristen trotz wedelnder Zehnmarkscheine: Die 140köpfige Belegschaft im Ostberliner „Ratskeller“ streikte gegen ihr Management - und aus Angst vor der Zukunft

Mitte. So schön hätte die Woche am Montag anfangen können. Alle hatten plötzlich echtes Geld, und jeder konnte sich doch nun endlich kaufen, was er nur wollte. Wie ein Schock traf es viele hungrige Touristen, daß die Belegschaft des Ostberliner „Ratskellers“ am Montag, 16 Uhr, in den Streik trat. Die KellnerInnen versperrten entschlossen und mit Pappschildern bewaffnet („Dieser Betrieb wird bestreikt“) den Zugang zu den romantischen Gewölben unter dem Roten Rathaus. Ganz im Gegensatz zu früher half den perplexen Touris, denen es nach deftigem Sauerbraten verlangte, auch nicht das Wedeln mit einem originalen Zehn-DM-Schein - denn die hat ja jetzt jeder.

„Die Belegschaft ist am Kochen“, so der Somelier (Kellermeister) des Hauses, Andreas Frese, und meinte damit weniger den normalen Dienstbetrieb, sondern die Wut des 140köpfigen Personals. Grund für die heiße Atmosphäre im sonst kühlen „Ratskeller“ ist die Dienstsuspendierung des gastronomischen Managers, Lutz Pattis. Der hatte durch viel Improvisation und persönlichen Einsatz in den letzten Monaten für die Aufrechterhaltung des Restaurantbetriebes gesorgt. Daß der sozialistische Dienstweg dabei nicht immer eingehalten wurde, sei doch wohl logisch, findet der Somelier Frese. Die Quittung für seine Eigeninitiative bekam der rührige Pattis nun vom Direktor des „Ratskellers“, Harry Reimann, serviert. Der war übrigens schon zu alten SED -Zeiten Chef in den ehrwürdigen Gewölben und habe sich nach der Wende kaum noch um den Betrieb gekümmert. Mehrmals wurde ihm deshalb vom Betriebsrat des „Ratskellers“ das Mißtrauen ausgesprochen, allerdings ohne Erfolg. Nun fordern die RatskellnerInnen ultimativ seinen Rücktritt.

Trotz seiner sozialistischen Vergangenheit führt Reimann ein strenges Marktwirtschaftsregiment. Die Preise wurden von ihm drastisch erhöht, so daß der besagte Sauerbraten nun 21,50 DM anstatt 11,50 Ostmark kosten soll. Bei solchen überkalkulierten Preisen bleibe aber die Kundschaft aus, so Chefkoch Zwicke. Folge: Dem Ratskeller droht der Ruin. Dieses könnte dem Direktor nicht ungelegen kommen, befürchten viele Belegschaftsmitglieder. Zuständig für die Privatisierung des Ratskellers ist ein guter Bekannter von Reimann, Erich Weber. Er ist Chef der Treuhandgesellschaft, die alle HO-Betriebe Ost-Berlins in Privatfirmen umwandeln soll, nebenbei war er auch strammes SED-Mitglied, so Frese. Die Belegschaft befürchte nun, daß ein herbeigeführter Bankrott des „Ratskellers“ zur „persönlichen Fortentwicklung gewisser Herren“ mißbraucht werden könnte, wie ein Kellner vorsichtig formuliert.

Die Lage im „Ratskeller“ entbehrt nicht einer gewissen Tragik. Mit 140 Angestellten ist er im Vergleich zu ähnlichen Restaurants im Westen hoffungslos überbesetzt. Und mit der D-Mark ist jetzt auch der Kapitalismus da, mit all seinen Konsequenzen. Daß sich ehemalige SED-Schergen nun als dynamische Jungunternehmer hervortun, ist dabei ein zusätzlicher Zynismus des Schicksals.

Gestern nachmittag fand der Streik dann sein frühes Ende. Mit einem letzten Angebot setzten die Direktoren auf die Solidarität der Belegschaft. Entweder gehen beide, Reimann und Pattis, oder beide bleiben, lautete ihr ultimatives Angebot. Die Rechnung ging auf. Die Belegschaft entschied sich resigniert für die zweite Alternative.

Marcus Fest