Ein Arschtritt von Uncle Sam

■ West 3 startet heute um 22.45 Uhr mit „Zum Bösen verdammt“ eine dreiteilige John-Garfield-Reihe

Von Manfred Riepe

Auf der anderen Seite des Wirtschaftsbooms der 50er, der der amerikanischen Mittelklasse den vergleichsweise höchsten Lebensstandard in der Welt sicherte, machten sich panikartige Massenängste breit. Vor den Sowjets, dem nuklearen Doomsday, vor ausländischen Spionen, die die Regierung infiltrierten, und sogar vor Aliens. Massiv geschürte Hysterien waren der Vorwand für McCarthys berüchtigtes „House of Un-American Activities“, um unter anderem Künstler zu schikanieren, die irgendwie mit dem Begriff „Kommunismus“ in Verbindung gebracht wurden. Der heute vergessene Hollywood-Star der 40er, John Garfield, war das prominenteste und wohl auch „unschuldigste“ Opfer dieser Hexenjagden. Als der 39jährige am 20. Mai 1952 einem Herzversagen erlag, stand sein Name seit eineinhalb Jahren auf der schwarzen Liste, ebenso lang wie der gefragte Star keine Arbeit mehr gefunden hatte.

Der 1913 als Sohn jüdischer Emigranten in den Ghettos der Lower East Side von New York geborene Julius Garfinkel konnte auf eine Bilderbuchkarriere zurückblicken. Vom Existenzkampf auf der Straße rau geschliffen, sah der junge Julius weniger in seinem religiösen Vater als in Uncle Sams Durchhalteparolen das Leitbild. Mit seinem Temperament wäre er über kurz oder lang auf dem elektrischen Stuhl gelandet, hätte ihm nicht der Pädagoge eines staatlichen Internats die rechte Lektion erteilt: Nur ein Trottel kämpft mit Fäusten; ein smarter boy kämpft mit Worten. Julie nahm's sich zu Herzen und erkämpfte sich bis 1927 ein Stipendium der Heckscher Foundation, wo er Grundkenntnisse der Theaterarbeit erwarb und auch sein Stottern überwand.

Aus dem bad boy, dem eine Chance gegeben ward, wurde ein good boy: Eine rührende Geschichte, die Garfield aufgrund eines künstlerischen Knebelvertrages mit Warner später bis zum Erbrechen portraitieren mußte. Zunächst jedoch hielt er sich mit kümmerlichen Bühnenauftritten über Wasser, bis er 1935 über die Freundschaft mit seinem alten Bronx-Kumpel, dem Bühnenautor Clifford Odets, zum linken „Group Theater“ stieß, dem New Yorker Avantgarde Center, dem unter anderem Lee Strasberg und Elia Kazan angehörten. Die Zeit mit dem „Group Theater“ wurde zum kulturellen und lebenspraktischen Intensivkurs. Odets schrieb Garfield Rollen auf den Leib, die der in Strasbergs „method acting“ sich Übende authentisch wütend auf die Bretter wuchtete. Seine Besessenheit führte soweit, daß der junge Akteur Tage im Zoo verbrachte, um auf der Bühne furchterregend wie ein Löwe brüllen zu können.

Nachdem dem beflissenen Aufsteiger in Odets „Golden Boy“ die maßgeschneiderte Hauptrolle verwährt blieb, ging Garfield trotzig nach Hollywood. Im entscheidenden Augenblick hatte die finanziell auf einen Erfolg angewiesene Group entgegen ihrem Codex die Hauptrollen mit arrivierten Hollywood-Stars besetzt. Garfields lädiertes Künstler-Ego sah im überstürzten Hollywood-Trip ironischerweise nur einen „Umweg“, über den er sich Anerkennung von der Group erhoffte.

Sein erster Film, Michael Curtiz‘ Four Daughters, wurde jedoch zum Überraschungserfolg, und Warner fixierte seinen jungen Star gleich in einem Siebenjahresvertrag. Weil Garfield noch während der Dreharbeiten zu seinem dritten Film, Allein gegen die Unterwelt (am 18.7.), eine Oskar -Nominierung erhielt, wurde seine Nebenrolle als beflissener Kriminalreporter, der einem selbstherrlichen Verbrechersyndikat das Handwerk legt, mächtig aufgeblasen.

Von Film zu Film wurde Garfield bekannter. Sein Talent wurde jedoch wie in Zum Bösen verdammt (22.45 Uhr) auf die Stereotype des jungen, sympathischen Kriminellen festgelegt, der durch soziale Benachteiligung auf die schiefe Bahn geriet, im Grunde aber ein guter Kerl ist. Interessanteste Produktion vom Warner-Fließband ist das Afterlife-Melodram Zwischen zwei Welten (am 11.7.). Sichtlich im Korsett seines Rollenklischees zappelnd, überzieht Garfield in seinem 23. Film das Tough-Guy-Image fast bis zur Selbstparodie.

Gleichzeitig kämpfte der sich nach wie vor als Bühnenschauspieler Sehende vergebens um Einflußnahme auf die Gestaltung seiner Rollen. Erst 1946 konnte er mit dem Auslauf des Warner-Vertrags seinen Traum verwirklichen und als einer der ersten unabhängigen Produzenten Filme nach seinem Gusto verwirklichen. Body and Soul und The Postman always rings twice (mit Lana Turner) zählen zu den besten Filmen seiner Karriere.

Trotz eines Zeitungsartikels „Actors and Politics“, in dem er sich 1943 zur patriotischen Pflicht des Künstlers bekannt hatte, gediehen aufgrund seines Bruchs mit Hollywood allerlei Anfeindungen, die sich um politische Verbindungen während der frühen Group-Zeit kristallisierten. Obwohl selbst nie als Kommunist beschuldigt, galt er wegen seiner beharrlichen Weigerung, Freunde zu denunzieren, als „Sympathisant“ und kam auf die Schwarze Liste. Es entbehrt nicht der Ironie, daß der loyale Amerikaner, der sich gemäß dem „American Dream“ aus der Gosse hochgearbeitet hatte, von Uncle Sam als erster einen Arschtritt erhielt.