: Sommersmog: In aller Lunge
■ Ein Ozonproblem gibt es nicht nur über den Polkappen: Während oben Fluorchlorkohlenwasserstoffe die Schutzschicht gegen ultraviolette Strahlung zerstören, stöhnen unten im Hochsommer viele mit tränenden Augen über zuviel Ozon in der Atemluft
Berlin (taz) - Das Molekül aus drei schlichten Sauerstoffatomen ist ein ganz besonderer Stoff. Der Mensch hat das Kunststück fertiggebracht, zuviel davon zu vernichten und zuviel davon zu produzieren: beides zur selben Zeit. Deshalb zählt Ozon (O3) zu den „lehrreichsten“ Agenzien in der gegenwärtigen Umweltdiskussion. Wo sonst käme eindringlicher zum Ausdruck, was die Ökologen meinen, wenn sie ihr Klagelied über die „hausgemachte“ Zerstörung natürlicher Kreisläufe anstimmen.
Die Ozonzerstörung hoch oben in der Stratosphäre - nicht nur über den Polkappen - ist nach der gerade zu Ende gegangenen Londoner Ozonkonferenz mit ihren ernüchternden Ergebnissen einmal mehr in aller Munde. Die übermäßige Ozonproduktion am Boden wird, wenn dieser Sommer seinen Namen noch verdient, bald wieder in aller Lunge sein.
In der Troposphäre, also den bodennahen Luftschichten, wirkt das reagible Molekül gesundheitsschädigend auf Mensch, Tier und Pflanze. Die Instabilität des dreiatomigen Sauerstoffmoleküls ist der Grund für seine Giftigkeit. Es wirkt unmittelbar, greift zum Beispiel das Gewebe des Atemtrakts dort an, wo es hinkommt. Und es kommt überall hin, weil es sich, im Gegensatz etwa zum Schwefeldioxid, in Wasser praktisch nicht löst. So erreichen Ozonmoleküle mühelos noch die letzten Winkel der menschlichen Lunge.
Direkt spürbar wird die aggressive Kraft des Spurengases immer dann, wenn es sich im Sommer im Verlauf langandauernder Schönwetterperioden in typischer Tagesperiodizität hochschaukelt und über Tage und Wochen allmählich zu immer höheren Konzentrationen anreichert (s. Abbildung). Der inzwischen geläufige Name dieser üblen Begleiterscheinung heißer Tage: Sommersmog. Beim Menschen rufen schon geringfügig erhöhte Ozonkonzentrationen Schleimhautreizungen von Augen, Nase, Rachen und Hals hervor. Steigt der Schadstoffgehalt in der Atemluft weiter, kommt es - zunächst bei Kindern und besonders empfindlichen Erwachsenen - zu Einschränkungen der Lungenfunktion, dann zu Husten und Brustschmerzen. Und wenn im Hochsommer die Langstreckenläufer weit unter ihren Bestzeiten bleiben, liegt das nicht nur an der Hitze, sondern auch an der bei Sommersmog verminderten Leistungsfähigkeit.
Komplexe
chemische Reaktion
Die der bodennahen Ozonbildung zugrundeliegenden chemischen Reaktionen sind komplex und teilweise noch nicht im Detail geklärt. Ein entscheidender Vorgang jedoch ist denkbar einfach. Unter dem Einfluß des Sonnenlichts zerfällt Stickstoffdioxid (NO2) in Stickstoffmonoxid (NO) und ein hochreaktives Sauerstoffatom (O), das spontan mit dem normalen molekularen Luftsauerstoff (O2) Ozon (O3) bildet. Neben dem Stickstoffdioxid tragen aber zahlreiche weitere Luftschadstoffe, insbesondere reaktive Kohlenwasserstoffe und Stickstoffmonoxid als sogenannte „Vorläuferverbindungen“ zur Entstehung des Sommer- oder auch Photosmogs bei. Die Kohlenchlorwasserstoffe wirken katalytisch, das heißt beschleunigend, auf die Umwandlung (Oxidation) von Stickstoffmonoxid in Stickstoffdioxid, das dann wiederum ein Sauerstoffatom abspaltet, und so weiter.
Gemeinsam ist den Sommersmog auslösenden Stoffen eines: Sie sind „anthropogen“, wie die Wissenschaftler sagen. Weniger vornehm: Der verantwortliche Stoffcocktail stammt aus den Tanks und Auspüffen einer explodierenden Kfz-Flotte, den Kraftwerksschloten und nicht zuletzt den Giftküchen der petrochemischen Industrie. Und deshalb ist leicht nachvollziehbar, daß der ganze Spuk eben nicht am Abend eines sonnenreichen Tages oder am Ende eines ebensolchen Sommers vorbei ist. Seit Beginn des Jahrhunderts hat sich die „Hintergrundkonzentration“ des Ozons von etwa 20 bis 40 auf 40 bis 80 Mikrogramm pro Kubikmeter verdoppelt.
Die Luft ist naturgemäß in den Ballungszentren am schlechtesten, die Konzentration der Ozon -Vorläuferverbindungen dort am höchsten. Daß die maximalen Ozonkonzentrationen im „Jahrhundertsommer“ des vergangenen Jahres dennoch nicht in den Großstädten gemessen wurden, scheint nur auf den ersten Blick verwirrend. Die meisten photochemischen Reaktionen laufen mit erheblichen Verzögerungen ab. Und gegen Abend, wenn die Sonne nicht mehr so kräftig scheint, verkehrt sich die Wirkung der dann neu emittierten Vorläuferstoffe in ihr Gegenteil: Sie betätigen sich nun als „Ozonfänger“, die das giftige Spurengas schnell in harmlosen Sauerstoff zurückverwandeln. Auf dem Land, wo diese Stoffe in geringerer Konzentration ausgestoßen werden, dauert die Rückverwandlung länger.
Bei stabilen Inversionswetterlagen kommt ein weiterer Effekt hinzu: Dann nämlich, erläuterte erst kürzlich der Ozon-Experte im Bundesgesundheitsamt Michael Wagner, könnten regelrechte „Oxidantienpakete“ (Oxidantien: oxidierende, das heißt Sauerstoff abgebende Stoffe) relativ unverdünnt über Hunderte von Kilometern transportiert werden und dabei ständig weiter Ozon produzieren. Manche Wissenschaftler glauben im Land-Stadt-Gefälle der Ozonkonzentrationen eine Erklärung für das Phänomen gefunden zu haben, daß die sterbenden Wälder auf dem Land oft noch älter aussehen als in hochbelasteten Ballungszentren.
Warnen oder nicht warnen
Wie bei allen hausgemachten Giftstoffen tobt auch beim Sommersmog der Streit über Grenzwerte, Warnstufen und Gegenmaßnahmen. Die Grünen verlangen seit Jahren, immer zur Sommerszeit, einen bundesweit einheitlichen Grenzwert, der sich an jenen 120 Mikrogramm Ozon pro Kubikmeter Luft orientiert, den der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) als lufthygienischen Richtwert empfiehlt. Auch die Schweiz, Schweden und Japan berufen sich auf diese von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vorgeschlagene Marge.
Der saarländische Umweltminister Jo Leinen empörte sich vor Jahresfrist insbesondere über das „Durcheinander unterschiedlicher Ozon-Richtwert-Empfehlungen“ in den Ländern und verlangte eine bundesweit einheitliche Regelung. Aber ein Grenzwert würde in letztlich bedeuten, daß zu seiner Einhaltung in langen Schönwetterperioden der Hauptverursacher radikal gestoppt werden müßte. Und das ist das Auto.
So sind vom großen Bonner Umweltzampano denn bisher auch nur äußerst vage Verlautbarungen zu vernehmen. Töpfers Experten im Bundesgesundheitsamt und Umweltbundesamt scharren immerhin unruhig mit den Hufen: Sie „halten eine regelmäßige aktuelle Information der Bevölkerung für wünschenswert“. Oberhalb von 120 Mikrogramm pro Kubikmeter sollten danach die Messungen regelmäßig bekannt gegeben und oberhalb von 360 Mikrogramm „mit Warnhinweisen für die Bevölkerung verbunden“ werden. Zwischen den beiden Margen sollen die Länder - wie bisher - allein entscheiden, ob sie ihre Bürger warnen oder nicht. Mit der allmählichen Zerstörung der Ozonschicht durch Fluorkohlenwasserstoffe hat das alles wenig zu tun. Noch. Denn, so erläuterte neulich die des Öko-Aktivismus gänzlich unverdächtige „Gesellschaft Deutscher Chemiker“, der Zusammenbruch der stratosphärischen Schutzschicht gegen die UV-Strahlung aus dem All würde nicht nur die Hautkrebsraten in die Höhe treiben, sondern auch die Ozonkonzentration am Boden. Und: „Ein Ansteigen von Ozon in der Troposphäre könnte die Erde, schon durch seine Giftwirkung, unbewohnbar machen.“
Gerd Rosenkranz
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