Geheimdienste weiter im Krieg

■ CIA und KGB üben sich auf einem neuen Schlachtfeld - in der Disziplin „Vergangenheitsbewältigung“ / Dabei tauchen neben der RAF und „Carlos“ in Osteuropa auch neue Informationen über die Nähe von CIA und Geheimloge „Propaganda2“ auf

Aus Rom Werner Raith

In Ost-Berlin graben merkwürdig schnell fündig werdende Ermittler innerhalb weniger Tage gleich dutzendweise Verwicklungen der abgehalfterten SED- und Staatsspitze mit RAF-Kombattanten aus; in Ungarn stößt der Innenminister offenbar schon beim Amtsantritt auf allenthalben herumliegende „Einzelheiten über die Zusammenarbeit unserer politischen Führung mit internationalen Terroristen und speziell dem gefährlichsten davon, „Carlos“ mit Decknamen; in der Tschechoslowakei soll, nach Mutmaßungen des italienischen Ober-Christdemokraten Arnaldo Forlani, das Spinnennetz der Entführer und Mörder des ehemaligen Ministerpräsidenten Aldo Moro sein Zentrum gehabt haben; die längst beerdigte „Bulgarian Connection“ des Papst-Attentats taucht wieder auf und die CIA-Nachrichtenverbreiterin Claire Sterling verweist stolz darauf, daß sie all das schon vor fast zehn Jahren in ihrem Buch Das internationale Terrornetz beschrieben hat: Das „Reich des Bösen“ erweist sich just beim Marsch in die Demokratie nachträglich als gerechtfertigtes Schimpfwort und keineswegs als Einbildung des frommen Ronald Reagan.

Wenn, ja wenn da nicht ein gewisser Richard Brenneke wäre. Der, Universitätsprofessor und ehemaliger Vietnamkämpfer war einst CIA-Mitarbeiter, bereut dies mittlerweile tief und ist nach dem Urteil eines Geschworenengerichts in Portland vom Juni durchgehend glaubwürdig. Und was er sagt, läßt starke Zweifel aufkommen, ob das Reich des Bösen wirklich nur im Osten angesiedelt war. So belegt der Geheimdienstler eine böse Verwicklung des ehemaligen Präsidenten und seines Stabes in die Affäre um die kriminelle italienische Geheimloge „Propaganda2“ des „Maestro venerabile“ Licio Gelli, dem der CIA seit der Gründung des Geheimbundes 1969 Riesensummen zugesteckt hat, mitunter monatlich mehr als zehn Millionen Dollar, so der Agent am Montag abend im staatlichen Fernsehen RAI. Der Logenmeister sei dabei via Schweiz selbst an einer engen Leine durch amerikanische Geheime geführt worden. Besonders peinlich für Reagan und seine Palladine: Gelli spielte bereits vor der Wahl des Film -Cowboys eine zentrale Rolle bei der Machtergreifung der Konservativen - er sorgte im Auftrag des Wahlkampfstabes dafür, daß der Imam Chomeini 1979 die in der amerikanischen Botschaft in Teheran festgehaltenen US-Geiseln nicht wie geplant vor der Wahl freiließ, um so Reagans Konkurrenten, den damaligen Präsident Carter massiv zu schädigen.

Egal, was da an echten oder gefälschten Nachrichten noch alles auf uns zukommen mag: Nach dem Motto: „Haust du meinen, hau‘ ich deinen“, kriechen dieser Tage, als gäbe es keinerlei Entspannung, offenbar die alten Geheimdienste wieder aus ihren Löchern, beginnen mit einem neuen Grabenkrieg gegeneinander. Das Terrain für die Kämpfe: Vergangenheitsbewältigung - die der jeweils anderen Seite natürlich. Experten wie Giuseppe De Lutiis (Storia dei servici segreti in Italia) haben verschiedene Erklärungen für diesen merkwürdigen Schlagabtausch: „Da ist einmal die Angst der Entblößung fürchtenden ehemaligen Leute fürs Grobe: Doch gleichzeitig stellen die Enthüllungen auch Warnungen an die jeweiligen Regierungen dar, am Ende die Agenten allein im Regen stehen zu lassen und die politische Veranwortung zu leugnen.“

Doch gleichzeitig könnten die Scharmützel auch Weichen für die Zukunft stellen: „Verschiedene Seilschaften richten sich schon wieder auf eine neue Auseinandersetzung ein und suchen durch Verunsicherung der Gegenseite gute Startpositionen, etwa für eine Nach-Gorbatschow-Ära oder einen von den Konservativen erzwungenen Kurswechsel im Kreml.“ Dessen derzeitige Vetrauensleute mischen freilich allen Anzeichen nach ebenfalls kräftig beim Enthüllungsmatch mit - wohl, um den Morgenluft witternden alten Kämpfern klarzumachen, daß es ein Leichtes ist, sie jederzeit und überall zu diskreditieren.

Sicher ist jedenfalls, daß die Aufdeckungen noch lange nicht zu Ende sind - „bei dem Haufen von Leichen in allen Kellern“, sagt De Lutiis, „ist das auch kein Wunder“. Die Frage ist freilich, wie gut und vor allem auf welchen Feldern es den einzelnen Diffamierungsspezialisten gelingt, der Gegenseite neben echten Enthüllungen auch Fälschungen und vor allem eigenes Verschulden hinüberzuschieben. Die Versuche, alle Verantwortung für die Entführung und Ermordung Aldo Moros irgendwelchen östlichen Geheimdiensten zuzuschieben, ein altes Lieblingskind der Reagan-nahen Gruppe um Claire Sterling, scheint jedenfalls nach den bisher vorliegenden Einzelheiten eher ein allgemein gehaltener Akt zur Vorbeugung gegen Enthüllungen über die einschlägige Rolle der CIA durch den Top-Aussteiger Richard Brenneke denn eine Versorgung der Öffentlichkeit mit wirklich neuen Elementen.