Fahndungsunion demontiert Datenschutz

■ Lena Schraut, Datenschutzexpertin und Abgeordnete der AL in Berlin, zum deutsch-deutschen Datenaustausch

INTERVIEW

taz: In der DDR gibt es keinen Datenschutz. Im Rahmen der Ermittlungen gegen die verhafteten RAF-Aussteiger in der DDR sind aber Hubschrauberladungen mit Fahndungsunterlagen des Bundeskriminalamtes nach Ost-Berlin eingeflogen worden. Wie ist das aus Sicht des Datenschutzes zu bewerten?

Lena Schraut: Der Vorgang ist bedenklich. Nicht nur, weil es in der DDR keine gültigen datenschutzrechtlichen Bestimmungen gibt. Es gibt zur Zeit auch kein Bundeskriminalamtgesetz, wie es das Bundesverfassungsgericht in seinem sogenannten „Volkszählungsurteil“ zum informellen Selbstimmungsrecht 1983 gefordert hat.

Nun kann man sagen, daß der Übergangsbonus noch gilt, den die Verfassungsrichter eingeräumt haben. Das gilt aber sicher nicht für die Überstellung von BKA-Daten in einen immer noch anderen Staat. Das alles wird noch weniger rechtsstaatlich, weil im Zuge der Fahndungsunion die DDR -Polizei auch den direkten Zugriff zu den Datensätzen in den Computern in der Bundesrepublik bekommen soll.

Bei der Vereinigung der beiden deutschen Staaten wird es doch zwangsläufig zu einem Datenaustausch und einer grenzüberschreitenden Fahndung kommen. Das hat sicher Rückwirkungen auf den Datenschutz in der Bundesrepublik?

Der Datenschutz wird erst einmal auf dem Stand eingefroren, den er vor der Verabschiedung des Volkszählungsurteils hatte. Rechtliche Konsequenzen wurden aus diesem Urteil bisher kaum gezogen. Als Mindestvoraussetzung für den Zugriff der DDR auf die Dateien des BKA - gerade in Sachen Terror-Fahndung - muß man erstens bedenken, daß es ja offensichtlich die DDR war, die über lange Jahre besser wußte, wo sich die Personen, die nach Paragraph 129a gesucht wurden, aufhielten. Zweitens muß man sehen, daß die Gesuchten sich, nach allem was bisher bekannt ist, nichts mehr zu Schulden kommen ließen. Und zum Dritten ist zu bedenken, daß in der Datei Apis („Arbeitsdatei PIOS - Innere Sicherheit“) unterdessen zu 80 Prozent Straftaten gespeichert sind, die mit Paragraph 129a oder den dazu gehörenden Katalog-Straftaten nichts zu tun haben.

Gespeichert sind darin Vorgänge, wie Sprühen von Parolen oder Tragen verfassungswidriger Kennzeichen. Es ist doch wirklich fraglich, ob die DDR auf solche Daten Zugriff erhalten soll. Sicherlich ist es nicht besonders realistisch, auf der puren orthodoxen Rechtsstaatlichkeit zu beharren.

Ich denke, die jeweils verantwortlichen Polizeien sollten eine Stelle einrichten, die für den gesamten Datenaustausch verantwortlich ist. Jeder Datenaustausch sollte dort so protokolliert werden, daß jederzeit nachvollziehbar ist, warum er erfolgte. Der Stelle sollte auch ein behördeninterner Datenschutzbeauftragter angehören; sie sollte regelmäßig von den normalen Datenschutzbeauftragten kontrolliert werden. Grundsätzlich sollten die Betroffenen wenigstens im nachhinein von dem Datenaustausch informiert werden.

Umgekehrt ist doch auch vorstellbar, daß die Akten der Stasi jetzt zur Strafverfolgung in der Bundesrepublik herangezogen werden.

Das wäre ganz und gar abzulehnen und überhaupt nicht zulässig. Der einzige sinnvolle Umgang mit den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes kann sein, diese in ein Archiv überzustellen und eine Kommission einzusetzen, die sich über die historische Auswertung Gedanken macht und die für Veröffentlichungen verantwortlich zeichnet. Einen Zugriff auf Stasi-Unterlagen kann ich mir höchstens im Rahmen von Strafverfahren gegen die Verantwortlichen der Stasi vorstellen. Aber keinesfalls gegen die Personen, die von ihr als Staatsfeinde registriert wurden.

Interview: Wolfgang Gast