Slowenien folgt dem Beispiel Litauens

■ Am Montag abend hat das Parlament der jugoslawischen Teilrepublik Slowenien eine Souveränitätserklärung verabschiedet. Mit einer Volksabstimmung über ein Wahlgesetz versucht die serbische Führung, die Autonomierechte Kosovos weiter auszuhöhlen. Im Kosovo selbst fordert eine Mehrheit im Parlament die Gleichstellung mit den anderen jugoslawischen Republiken.

Jugoslawien droht am Kosovo-Konflikt zu zerbrechen

„Jugo-Slawien als Staatsidee ist tot“, titelte gestern eine slowenische Boulevardzeitung. Die Süd-Slawen sollten von ihrem Traum Abschied nehmen, gemeinsam in einem föderativen Staat zu leben. Was dem Mariborer 'Djevnik‘ einen Aufmacher wert war, beschäftigte gestern die politischen Gemüter von Skopje bis Ljubljana.

Aktueller Anlaß sind zwei „Unabhängigkeitserklärungen a la Litauen“, so der Belgrader Rundfunk, „die mit der Verfassung in Widerspruch stehen“: Am Montag hatten 114 der 180 Abgeordnete des lokalen Provinzparlamentes Kosovos erklärt, ihr autonomes Gebiet im Süden des Balkanstaates dürfe nicht länger verwaltungsmäßig der Republik Serbien unterstellt bleiben, sondern „wie eine Republik jeder der anderen sechs Republiken gleichgestellt werden“. Ungewöhnlicher Ort des Geschehens waren die Stufen des Parlaments in Pristina, das paramilitärische Polizeieinheiten, die der „Führer“ Serbiens, Slobodan Milosevic, gerufen hatte, umstellten.

Zeitgleich jedoch - und dies nicht ohne Absicht - trat das Abgeordnetenhaus der nördlichsten jugoslawischen Republik Slowenien zusammen, um eine Regierungserklärung des Republikspräsidenten Peterle zu diskutieren. Peterle, der erste nichtkommunistische Präsident Sloweniens seit 1946, konkretisierte seine Vorstellungen, wie eine neue „jugoslawische Staatsidee“ aussehen könnte. Es gelte Abschied zu nehmen von dem Modell eines Vielvölkerstaates, das der legendäre Staatsmann Tito mit dem von ihm kommunistisch geprägten Partisanen nach dem Zusammenbruch des monarchistischen „Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen“ noch während der Kriegswirren des Zweiten Weltkrieges aus der Taufe hob.

Konkret könne sich Slowenien vorstellen, so der Präsident, daß Jugoslawien eine lose Konföderation werde, zwar mit einer Wirtschaftsgemeinschaft und gemeinsamer Zollunion, aber ohne einheitliche Steuerpolitik, mit Beschränkung der Militärhoheit auf die einzelnen Republiken und eigenständiger Kultur- und Außenpolitik.

Jede Republik solle sich selbst darum kümmern, Mitglied der Europäischen Gemeinschaft zu werden. Es solle der „Zwang zur Gemeinsamkeit“ durch „Zweckgemeinschaft“ ersetzt werden, hieß es in einer Erklärung in der - und dies ist der heikelste Punkt - ein sofortiger Abzug aller Armeeinheiten aus Slowenien gefordert wird.

Das sind Forderungen, die der Zentralregierung in Belgrad, die für die größte Republik des Landes, Serbien, mit seinen autonomen Provinzen Kosovo (hauptsächlich albanisch besiedelt) und dem mehrheitlich von Ungarn bewohnten Vojvodina, mehrheitlichen Einfluß ausübt, ein Dorn im Auge sind. Serbien wie auch die Belgrader Zentralregierung wettern schon seit Jahren gegen „bürgerliche Autonomiebestrebungen“, und man könnte annehmen, die Jugoslawen hätten sich an den „Krieg mit Worten“ (Peterle) gewöhnt.

Streichung des Wortes

„sozialistisch“

Eine schreckliche Todesbilanz steht dem gegenüber. Mindestens 33 namentlich bekannte Kosovo-Albaner ließen seit Anfang des Jahres bei Demonstrationen für mehr Demokratie und Minderheitenrechte ihr Leben, 141 wurden zum Teil lebensgefährlich verletzt. Außerdem wollen Gerüchte nicht verstummen, nach denen die Armee einen landesweiten Putsch plane, Gerüchte, die selbst aus hochrangigem Politikermund in Zagreb und Ljubljana zu hören sind.

Ein neuer Coup aus Serbien macht die hochexplosiven zwischennationalen Beziehungen noch angespannter: Nach der gesamtjugoslawischen Verfassung von 1974 wird der Balkanstaat als „sozialistische Föderation“ definiert. Nach den ersten freien Wahlen in Kroatien und Slowenien vom Frühjahr, bei denen in beiden nördlichen Republiken bürgerliche Parteien mit absoluter Mehrheit gegenüber den bisher regierenden Kommunisten das Rennen machten, strichen die neuen Parlamentarier das Wort „sozialistisch“ aus den Republiksverfassungen.

Vor allem Serbien und der charismatische Präsident dieser Republik, Slobodan Milosevic, versuchten, die Wahlen für ungültig zu erklären. Als dieser Antrag im Mai auf parlamentarischer Ebene scheiterte, beschlossen nun die serbischen Kommunisten, am Wochenende zumindest in ihrem Einflußbereich, in Serbien also, mit den dazu gehörenden autonomen Provinzen Kosovo und Vojvodina, eine Volksbefragung durchzuführen, in der jeder Bürger erklären sollte, ob er für die Streichung des Wortes „sozialistisch“ aus der Verfassung sei. Weiterhin verfolgt die Abstimmung den Zweck, die letzte Woche vorgenommenen Verfassungsänderungen gegenüber der autonomen Provinz Kosovo zu sanktionieren.

Wie zu erwarten war, zeichnet sich ein Erfolg für Milosevic nach Auszählung eines Teils der Stimmen ab. 76 Prozent der Wähler in Serbien gingen an die Urnen, obwohl die Albaner zum Wahlboykott aufgerufen hatten. Der Entwurf bedarf der Zustimmung von mindestens 50 Prozent. Doch nach der nationalistischen Kampagne der letzten Jahre wären weniger Stimmen eine große Überraschung.

Roland Hofwiler