Zurück zu den Mädchenklassen?

■ Jungs sind zu gewalttätig, die Mädchen werden unterbewertet - deswegen sind immer mehr Mütter und Lehrer wieder für nach Geschlecht getrennte Schulklassen / Erste Erfahrungen in Charlottenburg

Charlottenburg. „Meine Tochter kam neulich nach Hause und erzählte, sie sei in der Schule von einem Jungen getreten worden. Anstatt sich zu wehren, entschuldigte sie das Verhalten des Jungen mit 'der kann doch nicht anders'“.

Empört berichtete Jutta O. kürzlich der taz von den Zuständen in der Kreuzberger zweiten Klasse ihrer 8jährigen Tochter, in der zwei Drittel der SchülerInnen Jungen seien. Die Jungen seien gewalttätiger und verbal weniger auseinandersetzungsfähig als die Mädchen, was dazu führe, daß die Mädchen zusätzlich zu den Leistungsanforderungen noch „Sozialarbeiterfunktionen“ übernehmen müßten. Sie und zwei weitere „Mädchenmütter“ hätten deshalb gern getrennte Klassen, wobei die Jungenklassen dann intensiver gefördert werden müßten, da die integrativen Fähigkeiten der Mädchen erst mal rausfielen.

Nach dem Berliner Schulgesetz, das eine Koedukation vorschreibt, sei eine solche Aufteilung in Mädchen- und Jungenklassen „problematisch“. Dies erklärte gestern Schulsenatorin Volkholz auf einer Pressekonferenz zum Thema „Förderung der Chancengleichheit“ in der Herder-Oberschule in Charlottenburg.

Zwar wird es in Zukunft für die Schulen die Möglichkeit zum nach Geschlecht getrennten Unterricht geben, jedoch einstweilen begrenzt auf ein halbes Jahr und nur für bestimmte, hauptsächlich naturwissenschaftliche Fächer. Entsprechend einem Beschluß des Abgeordnetenhauses vom November 1989 „sollen Mädchen und junge Frauen motiviert werden, sich für Mathematik und naturwissenschaftliche Fächer an Schule und Hochschule zu interessieren“. In Studien wurde nachgewiesen, daß Lehrkräfte aktiven Jungen stärkere Aufmerksamkeit zuwenden, bekannt ist ferner, daß „Jungen die Leistungen und Kompetenzen von Mädchen“ abwerten. Besonders in der Einführungsphase neuer naturwissenschaftlicher Fächer könnten deshalb die Schulen künftig Mädchen- und Jungenklassen ausprobieren.

Schüler und Schülerinnen der Herder-Oberschule berichteten auf der Pressekonferenz von ihren im letzten halben Jahr mit dieser Trennung gemachten Erfahrungen. Der größte Teil der Mädchen sei dafür, denn „es lief einfach ruhiger und lockerer in der Klasse“. Den Jungs war's „zum größten Teil egal“, jedoch sei „keiner dagegen“. Zwar will die Senatorin erst mal ein paar Jahre abwarten, „ob sich an dem Berufswahlverhalten der Schülerinnen was ändert“, eine Lehrerin aus dem Herder-Kollegium war sich jedoch über den künftigen Erfolg bereits jetzt sicher: Sie und eine Menge Kolleginnen aus dem naturwissenschaftlichen Bereich hätten einst per Zufall festgestellt, daß sie alle aus Mädchenschulen gekommen seien. Lediglich eine einzige Kollegin, die sich den Naturwissenschaften zugewandt habe, sei koedukativ erzogen worden.

Frau O. aus Kreuzberg wird die neue Möglichkeit wenig trösten. Sie sieht nur eine Chance für die Entwicklung ihrer Tochter: „die Mädchen rausnehmen“ aus der jungendominierten Klasse und „irgendwo anders unterbringen“.

Sigrid Bellack