Wahl und Wahlrecht

■ Parteitaktik und Staatsräson im Bonner Disput über die Sperrklausel

KOMMENTARE

In Bonn herrscht Streit über die Sperrklausel für die gesamtdeutschen Wahlen. Selbstverständlich ist dabei Parteientaktik im Spiel, - wahlarithmetisches Schielen auf die besten Ausgangspositionen im Dezember. Das sollte allerdings nicht daran hindern, die einzelnen Argumente zu wägen.

Einmal mehr hat die Bonner SPD dem sicheren und übrigens im Detail äußerst flexiblen Vereinigungs-Management von Kohl, Genscher, Seiters und Schäuble im Kern nichts entgegenzusetzen. Es ist ganz klar, das Beharren der SPD auf einer möglichst hohen einheitlichen Sperrklausel hat keinen anderen Hintergrund als den, durch das Aussperren der PDS sich selbst eine letzte Möglichkeit offenzuhalten, die bevorstehenden Bundestagswahlen zu gewinnen. Wahlen allerdings, die sie ohnehin schon verloren hat. Anders argumentiert der Bundesinnenminister Schäuble. Er sagt, es kommt darauf an, den kleineren Parteien in der DDR eine Chance zu geben, da sie bisher zu wenig Zeit hatten, sich überhaupt oder neu zu formieren. Seine Überlegungen setzen auf Integration und den dafür notwendigen Zeitgewinn. Insofern ist das Argument plausibel. Im Hintergrund stehen im Bonner Innenministerium allerdings weniger honorige Gründe: Es geht nicht um das Abfedern eines parlamentarischen Integrationsprozesses, sondern um die möglichst reibungslose Übernahme des Staatsapparats der DDR. Hier sollen nur in Extremfällen Entlassungen vorgenommen werden. Ziel ist es, die alten SED-Leute in einem mehrjährigen Prozess zu loyalen, unter allen politischen Systemen funktionierenden Beamten umzuformen. Nicht der demokratische Neuanfang, die Kontinuität des Staatsapparats stehen für Schäuble im Mittelpunkt. Das deutsche Wesen ist zweifelsohne die beste Garantie für den Erfolg dieses Vorhabens. Um diesen Schritt auch subjektiv zu erleichtern, sollen die ehemaligen Genossen und Genossinnen im Staatsdienst - wenn sie unbedingt wollen - ein letztes mal PDS wählen können. Danach werden sie ohnehin schnell erkennen, daß nicht die Partei des demokratischen Sozialismus ihre Interessen am besten vertritt, sondern ÖTV und Beamtenbund.

Unter solchen Umständen wird es allerdings fraglich, ob eher dem Vorschlag der CDU für einen Schonraum DDR oder dem Vorschlag der SPD für eine rigide Sperrklausel der Vorzug zu geben ist. Angemessen wäre allein eine einmalige, für das ganze Wahlgebiet geltende Senkung der Sperrklausel für die bevorstehenden Wahlen. Damit wäre den verfassungsrechtlichen Forderungen nach Gleichheit entsprochen. Die Parteien der Republik Deutschland könnten sich in den nächsten Jahren neu formieren, und gleichzeitig könnten die Parteien und Gruppierungen in der DDR, die die Wende herbeigeführt haben, einen Wahlkampf führen, der den eigenen, jeder demokratischen Tradition entwöhnten Staatsapparat zum zentralen Thema macht.

Götz Aly