Autofahren als Abenteuer

Bauern und Beamte sind Deutschlands autovernarrteste Bürger. Der Leiter des Eduard-Pestel-Instituts für Systemforschung, Klaus Peter Möller, hat herausgefunden, daß die Haushalte dieser beiden Berufsgruppen zu über 90 Prozent einen oder mehrere Wagen besitzen. Sie und alle anderen Menschen, die Autos lieben, dürfen sich freuen, denn ihre Zukunft sieht sehr, sehr gut aus. Herr Möller geht davon aus, daß sich bis zur Jahrtausendwende bis zu 41 Millionen Pkw allein auf dem Gebiet der heutigen BRD tummeln werden. Das Auge kann sich dann an einem Meer von bunten Blechkarossen erfreuen, und die Luft wird erfüllt sein vom würzigen Duft ihrer Abgase.

Bereits heute findet bei einem Verhältnis von 487 Kraftfahrzeugen auf 1.000 Einwohner „das ganze Volk Platz in seinen halbleeren Autos“, meint Möller. Ein schönes Bild. Auch die deutschen Jugendlichen denken zukunftsorientiert und nehmen es schon jetzt als selbstverständlich hin, sich motorisiert fortzubewegen. Autofahren als Lebenszweck wird immer beliebter. Was für ein wunderbares Gefühl der Macht, mit einem schnittigen Wagen wie ein Stahlmantelgeschoß über den glänzenden Asphalt einer deutschen Autobahn zu jagen. Dieser Nervenkitzel, wenn die Tachonadel sich zitternd dem Anschlagspunkt nähert oder wenn plötzlich dem entgegenkommenden Lkw die Bremsen versagen und das Monstrum zum Nahkampf übergeht.

Selbst wenn der Wagen steht kann man Abenteuer wie im Kino erleben.

Letzten Sonntag zum Beispiel parkte ein junger Mann auf dem Gehweg vor einem Kaufhaus. Ein 65jähriger Rentner beschwerte sich frech über den blockierten Zugang. Im Laufe des hitzigen Wortgefechts zog der militante Fußgänger eine Pistole und

feuerte auf den Autobesitzer. Gott sei Dank war Opa ein mieser Schütze und traf nur den Oberarm. Der Überholvorgang wird auch immer spannender. Ein Kleinbusfahrer, der in der Nähe von Marburg eine schwere Limousine überholte, bekam vom stinksauren Lenker der Luxuskarosse als Dank eine Ladung Blei in den Oberschenkel geballert. Wodurch Mitte Mai ein Autofahrer den Zorn eines holländischen Fahrers erregte ist immer noch nicht geklärt. Vielleicht war die Nummernschildbeleuchtung defekt oder der Deutsche hatte leichtfertigerweise eine falsche Lackierung gewählt, auf jeden Fall fand er sich plötzlich im Kugelhagel des Niederländers wieder, blieb aber wie durch ein Wunder unverletzt. Wahrscheinlich hatte er eine Christophorus -Plakette am Armaturenbrett.

Karl Wegmann