Dresdens Tanz in die D-Mark

■ Nach neugierigen Runden in den Geschäften bleiben Körbe leer / Ein Drittel der Waren DDR-Produkte

Dresden (taz) - Montag morgen, vor der Kaufhalle des Dresdner Centrum-Warenhauses stehen an die 300 Leute. In gewohnter Formation und erwartungsfroher Stimmung. „Dresdens Tanz in die D-Mark“ heißt die Schlagzeile des Tages. Die Dresdner Arbeiter im Schlosseranzug, Büroangestellte in Zivil. Als es dann endlich soweit ist, geraten sie mit ihren Einkaufswagen erst einmal vor surrende Kameras. Die Welt wartet auf die Bilder von der Speisung der West-Millionen. Nach einigen neugierigen Runden entlang der buntgefüllten Regale bleiben die Wagen nur spärlich gefüllt. Fruchtsäfte, Dosen, Bananen, oft nur die Milch und etwas zum Frühstück reichen. Vom Hamstern will man sich verabschieden. Diese Fülle, weiß man, ist von Dauer.

Eine Stunde später, die Schlange nach Einkaufswagen reicht schon wieder bis hinaus auf die Prager Straße. Es wird nicht mehr so zögerlich eingepackt. Der Anteil von DDR-Waren in den Regalen liegt dem Anschein nach bei etwa einem Drittel. Diese Zahl hatte auch der Centrum-Direktor angegeben und bedauert, daß viele Betriebe nicht rechtzeitig ihre Verträge mit dem Handel zustande gebracht haben. Nachmittags in Dresdens größtem Neubaugebiet für 40.000 Einwohner stehen vier Kaufhallen und eine Handvoll Läden zur Auswahl. Auch in der Central-halle sind alle Einkaufswagen in Bewegung, aber nur spärlich gefüllt. Brot, Zucker, Mehl, DDR-Konserven, Bierflaschen bleiben stehen. Das hält noch die häusliche Vorratsecke bereit. „Weißt du, was die Fruchtzwerge kosten?“, fragt entsetzt eine Dame ihren Gatten, der eben feststellt, daß auch die Nudeln teurer geworden sind. Ich schiebe meinen Wagen am fast leeren Fleischstand und dem völlig leeren Käsestand vorbei zur Schokolade, wo ein Dutzend Kinder in Volksfeststimmung ihr erstes West -Taschengeld in Sprengel umrechnen. Überlegend, rechnend, suchend sehe ich vor allem die vielen Rentner, die aus dem benachbarten Feierabendheim herüberkommen und sich auf ihren buntgefärbten Lebensabend einstimmen. Frau Metzschke, Abteilungsleiterin, kann zum Feierabend feststellen, daß es „zum ersten Mal schön war, Verkäuferin zu sein. Wir wurden nicht von den Kunden für Mängel heruntergeputzt, die wir nicht verschuldet haben.“ Sogar Lob bekamen sie zu hören.

Mit „Gucken und Überlegen“ beschreibt die Verkäuferin das Verhalten der Kunden an diesem Tag. Als Einkäuferin entscheide sie sich für den Kunden, wobei es nicht ihre Sache sei, die DDR-Produktion totzusagen. Die Preise für Grundnahrungsmittel seien „Wahnsinn“. „Wir sitzen auf der Milch, auf den Semmeln auf Brot.“

Detlev Krell