Der große Preis ging nach Sachsen

■ Leipzig hat die D-Mark, aber noch keinen Kapitalismus / Schlangen vor den Futterhallen wie zu Zeiten der Großen Fleischnot / Die Penner mögen ihre Mitropa auch nicht mehr leiden

Aus Leipzig Stefan Schwarz

DDR-Menschen sind vorsichtige Wesen. In Leipzigs Warenhaus „konsument“ (vom losen Volksmund auch „Blechbüchse“ genannt) drängen sich die neuen DM-Bürger, beäugen und beschnüffeln das Angebot. Verkäufer eilen erregt hinter den Ladentischen hin und her. Aber wenig passiert. Eine Währungsunion macht eben noch keinen Kapitalismus. In der Abteilung Unterhaltungselektronik scheint eine westliche Firma mit dem früher einzig vorhandenen RFT nur den Platz getauscht zu haben. Wo ist die belebende Konkurrenz?

Ein paar Meter weiter, bei den Haushaltsgeräten, schwenken beleibte Sächsinnen stählerne Profi-Pfannen in der Hand und fragen sich, ob damit nun alles gut wird. Vor der angeschlossenen Kaufhalle staut sich der Verkehr, aber auch hier mehr Schaulust als gierige Beutel. Nach einem prüfenden Blick auf die Preise im Weinregal beschließen drei junge Männer, demnächst eine Batterie „Chianti“ aus West-Berlin einzuschleusen, anstatt hier das Vierfache an Geld über den Tisch zu reichen. Die mangelnden Vergleichsmöglichkeiten bereiten vor allem den fliegenden Händlern auf dem Boulevard gute Geschäfte.

Am Dienstag morgen herrscht vor der Kaufhalle in der Kreuzstraße ein Auflauf wie zu Zeiten der Großen Fleischnot. „Sie haben's noch nicht begriffen“, schimpft der Metteur aus der naheliegenden Druckerei, der hier den Tagessatz Getränke einholen will. Zwei Kassiererinnen tippen demotiviert die neuen Preise in die Kasse. Wenn sie könnten, würden sie alle gleich zur Konkurrenz wechseln, ist die einhellige Meinung in der Schlange vor der Tür und vor den Kassen. Der Realsozialismus bleckt noch einmal hämisch seine faule Infrastruktur.

In der Kaufhalle selbst empfiehlt ein flüchtiger Preisvergleich, am besten nur noch Bananen zu essen. Die tägliche Nahrung stammt jetzt aus Bayern, ist bis in die Einzelteile verpackt und wird einen beim ehrfürchtigen Einspeicheln daran erinnern, daß die Völlerei nun ihr finanzielles Ende gefunden hat. Eine junge Frau hebt eine Kampfpackung Klopapier aus dem Regal: „Was soll ich mit acht Rollen? Mir das Bad zustellen?“

Die Cafes sind nur mäßig besucht, die Restaurants leer wie vor einer geschlossenen Veranstaltung. Selbst die schwankenden Stammgäste der Bahnhofsmitropa sind an deren Preisliste zurückgeprallt und verwenden mürrisch ihr spärliches Salär für den Ankauf völlig unzureichender Mengen Büchsenbier an der neu installierten Imbißbude. „Früher haben sich hier immer die Studenten versorgt, aber die bleiben weg. Die Touristen und Geschäftsleute müssen jetzt kommen“, sagt die Inhaberin des kleinen Cafes am Boulevard. Schon Montag früh wußten auch die Nachbarinnen in der Straßenbahn, daß sie ihren heißen Schwarzen jetzt zu Hause brühen werden. Ein Auto, eine Reise und die ungewisse Zukunft erfordern, daß sie erst einmal maßvoll konsumierend in den eigenen vier Wänden bleiben. Aber wie lange werden sie es dort aushalten, ohne Videorecorder, ohne Strickmaschine, ohne Bosch-Hammer und Bandschleifmaschine, ohne Spülautomat und ohne Beate Uhse.

Sie dachten, sie haben das Geld, aber das Geld hat sie.