Einstürzende Obertöne

■ „Music in art“, dritte Folge: Mia Zabelka mit Telefonen in der Kunsthalle

Seit die Neue Musik die Zucht von friedfertigen Nutz-Tönen aufgegeben hat, weht Gefahr durch die Konzerte. Da hören wir struppige, verwilderte Geräusche, die Töne springen von ihren Leitern und fallen uns an wie reißende Tiere. Wenn Mia Zabelka, die

Wienerin, auftritt, ist das so eine Art Safari durch urbanes Dschungelland.

Sie hat am Mittwochabend das dritte und vor der Sommerpause letzte Konzert der Reihe „music in art“ von Kunsthalle und Radio Bremen gegeben: eine mit „Drahtvenuskörper“ unvermeidlich doof benamste, musikalisch hingegen reich ausgestattete Performance ihrer Person mit Geige und Telefonen.

Fest steht sie, in zelebröses Schwarz gekuttet, Beine gegen Bühnenboden gestemmt. Ein Mikrofonständer hält ihr einen Telefonhörer ins Gesicht, ohne Sang und Klang spricht sie Poesie hinein, seltsame Texte voll sturer Melancholie. Langwierige Lamentationen sind es aus der Wiener Schule, die meisten von Konrad Bayer, deren unbestrittenem Rektor.

Die Telefonleitung verdünnt die Stimme, quetscht den Ton aus bis auf die faktische Information, welche leer verhallt in der akustischen Steppe; Zabelka zupft die E-Geige dazu, in Quintsprüngen hasten Töne durch die Einöde, treffen auf andere, bilden minimale Muster von Stabilität, die sich in beharrlicher Wiederholung behaupten.

Das ist Punk, aber bis aufs knochenklapprige Konzept ausgezogen. So in die Performance geschleppt steht er ein bißchen

dumm da und weiß nicht, wie er sich künstlerisch betragen soll. Da ist schwerwiegende Bedeutung ausgeheckt, in diesem wonnevollen Konzert ein durchaus läßliches Vergehen.

Sonst nämlich macht Mia Zabelka richtige Musik. Und wir hören das behütetste der Instrumente, die Geige, wie sie allein und ausgesetzt ist. Ihr zugeneigt Zabelka, das feine Heuhaar von schwarzrotem Stirnband nach hinten geschupft, Bogen sacht über die Seiten stupsend. Dann schlurft er wieder, der Bogen, und holpert dahin, und wir sind Ohr.

Da hören wir ein feines Knispern, flageolierende Obertöne umschweben ermattete Seufzer. Und entzückende Dinge gehen vor zwischen Bogen und Saiten, knallharte Romanzen und kummervolle Zerwürfnisse. Alle Naselang fliegt die Musik auseinander in Toben und Kreischen, zerfetzt von grausamen Spielen mit resonierenden Klangwellen.

Am Ende schließt Zabelka die ganze Produktion kurz. Und wir hören, grundiert von telefonischen Außenaufnahmen, das schrecklich laute Scharren eines Mikrophons über einen Körper. Das feine Reiben über Haut, das Schwirren und Prasseln über Leder und Stoff und das infernalische Knattern der Ärmelfalten.

Wie leicht ist in akustischen

Welten das Abenteuer zu haben, wo eine Handbewegung die Hölle los und die Obertöne einstürzen macht. Manfred Dworscha