Die Hölle, das sind wir

■ Abschlußproduktionen der Freiraum-Theater-Schule: körperpräzis

Was ab heute im Freiraumtheater zu sehen ist, ist Ergebnis zweijähriger Ausbildung. Außer mit Jürgen Müller-Othzen, dem Schulgründer, arbeiteten die je sieben Frauen und Männer mit Britta Lieberknecht (Tanz), Mauro de Girolamo (Rhythmik), Lüer Martens (Akrobatik), Marion Müller-Othzen (Eutonie und Psychotonik), Renate Breuer und Stefanie Keppler (Stimme).

Daß es eine Ausbildung war, die die Körperkünste stärker berücksichtigt als die traditionelle Schauspielschule, deutet die Skala der Lehrenden an. Daß es eine präzise Rundum-Ausbildung gewesen sein muß, zeigen die Produktionen. Da sind beileibe nicht 14 Genies zu bewundern, aber SpielerInnen, denen bei aller Unterschiedlichkeit des Könnens anzumerken ist, daß ihre Bewegungen und auch ihre Sprache durch eine Schule gegangen sind, die an die Stelle des „Traditionellen“ nicht Beliebigkeit, sondern neue Strenge setzte.

Die SpielerInnen haben die Stücke selber ausgesucht, die Geschlossene Gesellschaft von Sartre und Die schlaue Witwe von

Kotzebue jedenfalls. Den Sartre offensichtlich, um sich als ernsthafte CharakterdarstellerInnen, den Schwank, um sich als ausgebuffte buffi, als KomödiantInnen vorzustellen. Das gelang. Als Spiel am überzeugendsten in seiner Leichtigkeit und Grausamkeit fand ich aber den dritten Einakter, die Arrabalsche Absurdeske, Fando und Liz.

Das demonstrative Können geht, auch wenn die Demonstration gelingt, zu Lasten der Anrührung durch das Spiel und damit letztlich zu Lasten der SpielerInnen. Vor allem bei der schlauen Witwe, die sich ihre vier bekloppten Freier hauptsächlich deshalb vom Leibe hält, damit man sieht, was für gottvolle comedia d'ell arte- und Clownsbewanderte hier entstanden sind, man riecht die Absicht und reagiert (außer entzückt) verstimmt.

Der Sartre kam mir vom Existentiellen ins Absurde gebürstet vor. Die drei, die sich gegenseitig zur Hölle gereichen, tun es weniger ihrer Eigenschaften wegen, als weil sie sich darauf versteifen, von den je anderen genau das zu erwarten, was sie nicht geben

können. Dabei haben die skelettierten Seelenlandschaften, gespielt auf leerer schwarzer Bühne mit drei nackten Stühlen, immer auch etwas bezwingend Witziges an sich, gerade weil sie nicht nur Schicksal sind, sondern ihre InhaberInnen so eisern dran festhalten. Und natürlich gibt es auch hier fast keine Bewegung, die zu groß oder ungenau wäre oder nicht exakt im richtigen Moment käme.

Erstaunlicherweise sieht sich die Botschaft des Arrabalstückes im Freiraum ganz ähnlich an wie die des Sartreschen: auch Fando quält seine zarte, gelähmte Liz weniger, weil er eben an den Arrabalschen Standard -Obsessionen leidet, als deshalb, weil er sie quält wie sie ihn: mit der Kette festgelegter Erwartungen.

Uta Stolle

6., 7., 8.7., 20.30h: Grundstraße