„Sag Du was, Otto“

■ BRD - England, Mi., 20.00 Uhr ZDF

Interviews, meint Klaus Augenthaler, sind die härteste Strafe für einen Fußballspieler. Der Vorstopper, der schon mit seinem Gesicht als Abschreckwaffe wirkt, hat nicht ganz unrecht. Selbst wenn er beim Hitchcock-Kick gegen England gezeigt hat, daß der wahre Baresi Auge heißt - vor dem Mikro bleibt Augenthaler, wie weiland Katsche, der dumpfe Ausputzer.

Interviews sind auch für Fußballzuschauer eine harte Strafe, nicht nur, wenn der Partner Auge heißt. Denn was die Liberos des gesprochenen Worts, unsere TV-Kommentatoren und Reporter, in den letzten Wochen boten, dagegen wirkt das Gegurgel des Bayern-Stoppers schon wieder ganz manierlich. Bei mindestens 20 Spielen ist mir aus dem Schwall verbalen Standfußballs eine einzige zarte Andeutung erinnerlich, wie elegante Fußballkommentare aussehen könnten. Sie fiel im Spiel des Ästhetikweltmeisters Kamerun, als Gerd Rugenbauer die Einblendung des britischen Trainers für ein Resümee nutzte: „Das einzige, was im englischen Spiel läuft, ist der Schweiß von Bobby Robson.“ Ansonsten dominierte in aller Regel Normgelaber und Sortimentsgequatsche, pars pro toto Dieter Kürten nach Linekers Ausgleichstor im Halbfinale: „Fassungslos“ sieht er Beckenbauer an der Bank stehen, kurze Zeit drauf noch mal „fassungslos“, dabei mimt der Teamchef nur wie üblich den Coolen.

Zur Verstärkung hat man den Conferenciers mittlerweile Experten beigegeben, Otto Rehagel im ZDF und Rummenigge in der ARD. Ersterer mit echtem Stallgeruch aus der Kabine („Tu noch'n Ding rein, Rudi“), letzterer im Stile eines elder statesman („Ein böses Faul, wenn ich das so sagen darf“). Wenn „Kalle“ als Helmut Schmidt mit dem König der Lallbacken, Heribert Faßbender (Freistoß für die Tschechen und die Slowaken“), im Duett orgelt, dann kann noch so sagenhaft gespielt werden, die Stimmung ist irgendwie gestört, - von enervierend moderatem Wurlitzer-Sound. Den Ton einfach abzustellen ist keine Alternative, das Publikum ist der Oberton jeder Fußballsymphonie. Dem Hasen Heribert wenn er mit Kopfhörer und Möhren-Mikro am Reporterplatz mümmelt, sieht er tatsächlich so aus - zumindest verbal zu entgehen und zwecks Stadion-Ton das Radio laufen zu lassen, ist ebenfalls kein Ausweg. So spannend eine bloße Rundfunkreportage sein mag, sobald die Augen sehen, über was geredet wird, ist die Luft raus - das Non-Stop-Gequatsche tötet absolut jeden Nerv, wo bei den Pausen der TV-Reporter ja immer noch Regenerierungsmöglichkeiten gegeben sind. Nur deshalb sind Großereignisse wie das kommende Endspiel überhaupt noch genußfähig: Manchmal verschlägt es auch dem Reporter die Sprache. Beim Blechreden ist Schweigen Gold um den deutschen Mikrophon-Akrobaten diese Kunstregel einzubläuen, könnte eine Statistik, wie sie für Torschüsse, Ecken, usw. detailliert geführt wird, nicht schaden. Solange, bis sie gelernt haben, sich entweder analog der Hochartistik auf dem Rasen in spiralistische Wortwendungen und Doppelpaß-Assoziationen zu steigern oder schlicht und einfach den Mund zu halten. Kultur wird es im Fernsehfußball insofern erst dann geben, wenn außer dem Tor auch der „Kommentator des Monats“ gekürt wird. Nur eines scheint der Sache im Wege zu stehen: die Wortspiele enden fast immer torlos.

Mathias Bröckers