Susanne Albrecht als Kronzeugin?

■ Sprecher des Generalbundesanwalts nennt Spekulationen über Aussagebereitschaft der ehemaligen RAF-Frau „verfrüht“ / Anwalt Vogel: Kronzeugenangebot „entscheidend“ für Rückkehr

Von Gerd Rosenkranz

Berlin (taz) - Über einen Autobahngrenzübergang ist gestern die vor vier Wochen in der DDR festgenommene Susanne Albrecht in die Bundesrepublik gebracht und nach Angaben ihres Ostberliner Anwalts Wolfgang Vogel in ein Gefängnis im Süden der Republik eingeliefert worden. Frau Albrecht, der vor allem die Beteiligung an der versuchten Entführung und Ermordung des Bankiers Jürgen Ponto durch die RAF im Jahr 1977 zur Last gelegt wird, hatte zuvor ihre Beschwerde gegen einen in Ost-Berlin ausgestellten Haftbefehl zurückgenommen und ihrer Auslieferung in die Bundesrepublik zugestimmt. Sie werde „unverzüglich“ dem zuständigen Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof vorgeführt, erklärte der Sprecher der Generalbundesanwaltschaft, Hans-Jürgen Förster.

Förster trat Spekulationen entgegen, Susanne Albrecht werde sich als „Kronzeugin“ zur Verfügung stellen. Es sei „in diesem Stadium des Verfahrens“ verfrüht, von ihrer generellen Aussagebereitschaft auf eine mögliche Rolle als Kronzeugin zu schließen. Allerdings scheint der Bundesanwaltschaft die Diskussion über die Kronzeugenfrage nicht unwillkommen. Eine entsprechende Aufforderung des neuen Generalbundesanwalts Alexander von Stahl, sich als Kronzeugen zur Verfügung zu stellen, ziele nicht nur auf Frau Albrecht, sondern auf den gesamten in der DDR festgenommenen Personenkreis, sagte Förster zur taz. Ob eine Kronzeugenrolle überhaupt in Frage komme, werde sich frühestens nach Abschluß der Ermittlungen in jedem Einzelfall herausstellen. Rechtsanwalt Vogel erklärte dagegen, für den Entschluß seiner Mandantin, freiwillig in den Westen zurückzukehren, sei das Kronzeugen-Angebot des neuen Generalbundesanwalts Alexander von Stahl entscheidend gewesen.

Deutlicher als von Stahl-Sprecher Förster äußerte sich der Sprecher des Kölner Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hasso von Samson. Ein möglicher Kronzeuge müsse „auch etwas liefern“, meinte er mit Blick auf die Formulierung in der umstrittenen und auch von Teilen des Verfassungsschutzes in der Vergangenheit abgelehnten Kronzeugenregelung. Darin heißt es, der Generalbundesanwalt könne mit Zustimmung eines Strafsenats des Bundesgerichtshofs „von der Verfolgung absehen, wenn die Bedeutung dessen, was der Täter oder Teilnehmer (an einer Straftat nach Paragraph 129 a des Strafgesetzbuches, Red.) offenbart hat, insbesondere im Hinblick auf die Verhinderung künftiger Straftaten, dies im Verhältnis zu der eigenen Tat rechtfertigt“. Genau da bestehen jedoch im Falle von Susanne Albrecht erhebliche Zweifel. Ob sie über ihre Rolle bei der versuchten Entführung und Ermordung des Bankiers Jürgen Ponto im Jahr 1977 hinaus überhaupt etwas über die Vorbereitung und Durchführung der anderen Anschläge desselben Jahres insbesondere auf Generalbundesanwalt Buback und Arbeitgeberpräsident Schleyer und seine Begleiter - zu erzählen hätte, scheint eher unwahrscheinlich.

Nach dem ungeplanten Mord an Ponto, der mit der Familie Albrecht persönlich befreundet war, war die ehemalige RAF -Frau nach Angaben des in Hamburg inhaftierten Peter-Jürgen Boock regelrecht zusammengebrochen und an der darauffolgenden Schleyer-Entführung nicht mehr beteiligt worden. Auch am Anschlag auf den ehemaligen Generalbundesanwalt Siegfried Buback, der zeitlich vor der Ponto-Aktion lag, kann Susanne Albrecht nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden nicht beteiligt gewesen sein, weil sie zu dieser Zeit noch als sogenannte „Legale“ in Hamburg lebte. „Es steht fest“, erklärte gestern ein führender Verfassungsschützer gegenüber der taz, „daß sie bei Buback noch nicht zum Untergrundkommando gehörte“.

Susanne Albrecht wird in der Bundesrepublik von einem renommierten Hamburger Anwalt vertreten. Die Haftbefehle gegen die anderen sieben in Ost-Berlin einsitzenden ehemaligen RAF-Mitglieder sind nach Angaben der DDR -Generalstaatsanwaltschaft „in der Mehrzahl der Fälle noch nicht rechtskräftig“. Insbesondere sei noch nicht über die Beschwerde von Inge Viett gegen ihre Auslieferungshaft entschieden.