Gnadenfrist für Moby Dick

■ Die Gefahr der Wiederaufnahme der kommerziellen Jagd auf Wale scheint zunächst gebannt. Zwar hatten die traditionellen Walfangländer Island, Norwegen und Japan im Vorfeld der 42. Tagung der Internationalen Walfangkommission (IWK) im niederländischen Noordwijk beantragt, zumindest die Jagd auf Zwergwale freizugeben. Bei der Mehrheit der Delegierten aus 29 Teilnehmerstaaten jedoch überwog das Interesse an einem effektiven Schutz des bedrohten Meeressäugers.

Wahlfängerlobby kann sich vorerst nicht durchsetzen

AUS NOORDWIJK PLUTONIA PLARRE

Auf der Strandpromenade des kleinen holländischen Seebads Noordwijk ist seit einer Woche der Wal los. Genauer gesagt: Drei riesige, aufgepumpte Plastikwale sind mit Hilfe der Umweltschutzorganisation Greenpeace auf der Düne just vor dem Hotel gestrandet, in dem die Internationale Walfangkommission (IWK) heute über das Wohl oder Wehe eines Meeressäugers aus Fleisch und Blut entscheiden wird: über den kleinsten der Großwale, den Zwergwal.

Nach einem fünfjährigen kommerziellen Jagdverbot für alle Großwale hat Island auf der diesjährigen, 42. Tagung der IWK eine Wiederzulassung der kommerziellen Jagd auf die Zwergwale im Zentralatlantik beantragt. Ein ähnlicher Antrag liegt der Kommission von Japan vor, das für „einige, wenige“ seiner Küstendörfer aus „kulturellen, sozialen und religiösen Gründen“ wieder die Jagd auf „einige“ Zwergwale vor der japanischen Küste erlaubt haben möchte. Und auch die alte Walfangnation Norwegen hat einen ersten Vorstoß zur Wiederaufnahme der kommerziellen Waljagd unternommen. Es beantragte, daß die Zwergwale im Nordostatlantik nicht mehr als geschützte Art eingestuft werden. Die norwegische Walfangflotte läuft zwar noch nicht aus, wie Greenpeace in einer Großkampagne bereits behauptet hat. Aber das ist vielleicht nur noch die Frage einer kurzen Zeit: Das skandinavische Land steht innenpolitisch mächtig unter Druck, weil das Hausrevier, die Barentssee restlos überfischt ist und Tausende von Fischern von Arbeitslosigkeit bedroht sind.

Daß es den Fischern um die nackte Existenz geht, zeigte sich in Noordwijk darin, daß sie den Medienrummel nicht den Walfanggegnern wie Greenpeace überließen. So waren einige kleine Fischer der Organisation „Survival in the high North“ (SHN) mit Videofilmen über Walfang und Fischfang angerückt. Sie krönten ihren Auftritt mit einer Pressekonferenz auf einem eigens von den Lofoten nach Holland geschipperten kleinen Walfängerschiff. Der Slogan: „Die Zwergwalfänger zeigen ihre Gesichter.“

Die Chancen dafür, daß Island, Japan und Norwegen bei der heutigen Abstimmung eine Aufhebung des Jagdverbots für Zwergwale durchsetzen können, sind allerdings gering. Dies bedürfte einer Dreiviertelmehrheit der auf der diesjährigen IWK-Tagung vertretenen 29 Teilnehmerstaaten, und die wird das zeigte bereits eine Vorabstimmung im Technischen Komitee über den isländischen Antrag - kaum zustande kommen. Der Antrag wurde mit 20 zu sechs Stimmen bei drei Enthaltungen abgeschmettert. Mit Island stimmten Japan, Norwegen, die karibischen Inselrepubliken San Vincent, San Lucia und die Sowjetunion. China, Korea und Mexiko enthielten sich. Die Mehrheit - der sogenannte „like-minded-block“, zu dem unter anderem Schweden, Finnland, Dänemark, England, die Niederlande, Neuseeland, Australien und die Bundesrepublik gehören - stimmte dagegen. In diesen Ländern überwiegt zum gegenwärtigen Zeitpunkt das Interesse an einem effektiven Walschutz.

Hardliner drohen

mit Austritt

Gebannt ist die Gefahr der Wiederaufnahme einer kommerziellen Waljagd - der sogenannte wissenschaftliche Walfang und der Walfang der Eingeborenen wie etwa der Inuit ist von dem Moratorium ausgenommen - mit einem solchen Abstimmungsergebnis jedoch noch lange nicht. Die am kommerziellen Walfang interessierten Länder brauchen nur aus der IWK auszusteigen. Und genau damit hat Islands Fischereiminister Haldor Asgrimsson auf einer am Rande der IWK anberaumten Pressekonferenz am Mittwoch bereits indirekt gedroht: „Wenn die Kommission nicht in der Lage ist, notwendige Entscheidungen zu treffen, dann haben wir in ihr nichts mehr zu suchen.“ Asgrimsson sagte dies wohlwissend um die Folgen, die ein Austritt aus der IWK für sein Land nach sich ziehen könnte. Schließlich ist Island wegen des „wissenschaftlichen“ Walfangs - rund 70 Finn- und 30 Seiwale pro Jahr in der Zeit zwischen 1986 und 1988 - schon einmal einem von Umweltschützern organisierten Boykott von isländischen Fischereiprodukten ausgesetzt gewesen.

Daß der Gedanke an solche Folgen den isländischen Fischereiministern nicht zurückschrecken läßt, hat seinen Grund. Er steht aufgrund der Krisen der Fischerei unter großen Druck und sucht dafür jetzt einen Sündenbock: zum einen die Zwergwale, die „rund um Island Millionen Tonnen Futter konsumieren“, zum anderen die IWC, die das Waljagdverbot nicht aufhebt und damit, so findet Asgrimsson, gegen die Konvention verstößt.

Die Konvention der 1948 gegründeteten IWK besagt, daß deren „Zweck“ darin besteht, einen „ordentlichen Erhalt“ der Bestände der zwölf Großwalarten zu gewährleisten, „um auf diese Weise eine ordentliche Entfaltung der Walfangindustrie möglich zu machen“. Die Hauptfrage der IWK, so heißt es weiter, „ist es, durch soviel Nachprüfung und Überarbeitung wie möglich, Maßnahmen zur Lenkung des Walfangs überall in der Welt zu ergreifen“.

Die Maßnahmen sollen die unter anderem dafür sorgen, daß „bestimmte Gebiete Allerheiligstes der Wale sind“, daß begrenzte Fangquoten pro Saison festgesetzt werden und daß die Jagd auf saugende Kälber und weibliche Wale, die von Kälbern begleitet werden, verboten wird.

Als Grundlage für ihre Arbeit benutzte die IWK bis zum Inkrafttreten des Moratoriums im Jahr 1985 das sogenannte „New-Mangement-Verfahren“. Das Mitte der 70er Jahre entwickelte Verfahren versuchte, die einzelnen Walpopulationen anhand der über sie zusammen getragenen Erkenntnisse in drei Kategorien einzuteilen. Bestände, die total dezimiert schienen, wurden völlig unter Schutz gestellt, Bestände, von denen mehr oder vergleichsweise viel übrig geblieben, in begrenztem Umfang zur Jagd freigegeben. Nach und nach stellte sich jedoch heraus, daß einige Bestände ganz falsch eingestuft worden waren und dabei verhängnisvoll dezimiert wurden. Das Verfahren funktionierte nicht, weil es einfach zu viele unbekannte Variablen gab.

Diese Einsicht und die Tatsache, daß frühere Walfangnationen wie die USA, England, Argentinien, Australien und Holland die Harpune an den Haken hängten und sich fortan dem Schutz der Wale widmeten, führte zu einem Stimmungsumschwung in der IWK, mit dem für 1985 schließlich das Moratorium durchgesetzt werden konnte.

Eine Computersimulation

soll helfen

Zeitgleich wurde beschlossen, daß das wissenschaftliche Komitee, in das alle Mitgliederländer eigene Wissenschaftler entsenden können, 1990 eine umfassende Einschätzung über die Auswirkungen der kommerziellen „Jagdpause“ auf die Bestände vorlegen soll.

Dieser wissenschaftliche Report liegt der IWK jetzt vor. Er ist der Stoff, aus dem Island, Japan und Norwegen den Honig für ihre Anträge zur Aufhebung des Jagdverbots für die Zwergwale saugen: Die Schätzungen der Wissenschaftler besagen, daß in der südlichen Hemisphäre zwischen 400.000 und einer Million Zwergwale leben. Im Nordostatlantik sollen es zwischen 30.000 und 80.000 sein. Im Nord- und Zentralatlantik zwischen 21.000 und 31.000.

„Die Zwergwalbestände sind groß genug, um nach den Regeln der IWC als nutzbar eingestuft zu werden“, findet Islands Fischereiminister Asgrimsson. Den „like-minded-block“ wird er damit zumindest in diesem Jahr wohl kaum überzeugen. Der „Block“ will erst einmal abwarten, ob es den Wissenschaftlern mit einer Computersimulation gelingt, ein neues „Management-Verfahren“ zu erarbeiten, das so sichere Fangquoten sicherstellen kann, daß die Bestände der Zwergwale durch die Jagd nicht gefährdet werden.