Verkäufer gehen statt aufs Klo auf Nr. 17

■ Ein Gespräch mit einem Ex-KaDeWe-Herrenkonfektionär über bleibende Kaufhausprägungen, Kantinen-Degout und Cartier-Zeit

Ades Zabel, Filmemacher und Entertainer, hat in der Herrenkonfektion des KaDeWe zweieinhalb Jahre lang das Verkaufen gelernt - und es dann wieder aufgegeben. Das hat ihn geprägt und ist zur nie versiegenden Quelle seiner künstlerischen Ausflüsse geworden. Und so heißt eine der Shows seiner „Teufelsberg Show Produktion“ auch „Langer Samstag - oder: 389, bitte Hörer auflegen . Eine Show über einen beliebig langen Samstag im Kaufhaus Denninger“. Die taz sprach mit Ades Zabel über sein Leben mit dem KaDeWe.

taz: Sind Sie fürs Leben gezeichnet?

Ades Zabel: Es hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen, ich bin aber rechtzeitig raus.

Was hat Ihnen die Arbeit im KaDeWe für Ihre künstlerischen Projekte gebracht?

Ich kann viele Situationen, die ich erlebt habe, in Shows oder Filmen verwenden. Das ist aber auch Lebenserfahrung: Ich hätte als Jugendlicher nie gedacht, daß die Verkäufer und die Kunden so sind, wie sie sind.

Was ist das Spezielle an der Herrenkonfektion gewesen?

Im KaDeWe ist das eine Abteilung, wo nicht sehr viel los ist. Die lief immer ziemlich schlecht. Die haben zwar immer versucht, im Stil von „Selbach“ oder „Kramberg“ zu arbeiten

-sehr teure Sachen aus Paris und Italien -, aber dafür gab es nie so ein richtiges Publikum, weil die Leute dann lieber in die Boutiquen selbst gehen, weil sie da besser beraten werden. Da ist es auch gemütlicher, da kriegt man noch 'ne Tasse Kaffee dazu, das geht im Kaufhaus halt nicht.

Das KaDeWe ist ja ein Mythos. Ist der Unterschied zu anderen Kaufhäusern wirklich so groß?

Im Grunde nicht, nur daß das Geschäft teurer ausgestattet ist und die Waren teurer sind. Das, was hinter den Kulissen ist, das ist ganz schön verranzt und versifft. Zum Beispiel das Lager der Herrenkonfektion, irgendwo auf dem Dach, ein kleines, dreckiges Ding. Kein Schreibtisch, nur ein Brett an der Wand, total eng auch für die Leute, die die Sachen auspacken. Oder die Kantine: dunkel, die Scheiben nur mit Milchglas. Die Gewerkschaft wollte immer klare Scheiben, da mußten die jahrelang drum kämpfen. Und was das Essen angeht: Zwischen der Kantine und der Delikatessenabteilung liegen eben genau drei Etagen.

Und wie war's mit den Kollegen?

Erst mal muß man ja sagen, daß der Spruch „KaDeWe Kaufhaus der Warmen“ schon zutrifft. Es gibt unheimlich viele Schwule da. Aber leider meist eben die schlimmen Leute. In der Herrenkonfektion war das gemischt. Da gab's eine Menge Hausfrauen und auch sehr nette Leute, mit denen man auch Spaß haben konnte, wenn man nicht unter Aufsicht des Abteilungsleiters war. Aber es gab auch die Spießerschwulen. So ein Vorgesetzter von mir, der trug immer die teuerste Kleidung, die er sich aussuchte und monatelang zurückhielt - bis zum Schlußverkauf, wenn sie billiger wurde. Der trug immer Cartier-Uhren, und wenn man ihn nach der Zeit fragte, sagte er stets: „Nach Cartier-Zeit ist es jetzt so und so spät.“ Irgendwann hat er sich dann auch noch die passende Kette zur Uhr gekauft. Es gab dort einige Leute, denen das Kaufhaus zum Lebensinhalt geworden ist. Den Leuten ging es dann nur noch um Luxus, den sie sich sichtbar anziehen oder umhängen konnten. Hauptsache, es steht „Daniel Hechter“ auf den weißen Sportsocken für 20 Mark, obwohl da nie ein Designer die Hand daran gelegt hat. Die haben dann auch gern noch Fotos von ihren farblich völlig abgestimmten Wohnungen gezeigt.

Wie war das Arbeitsklima?

Es herrscht eine ganz verlogene Atmosphäre auch untereinander: „Jetzt hat der schon wieder die Jacke mit 15 Prozent Provision verkauft, und eigentlich wollte ich da abkassieren.“ Bei bestimmten Kleidungsstücken, die nicht liefen, gab es nämlich immer ein paar Mark extra, wenn die verkauft wurden. Das führte zu einem Gehetze auf die Prämien, schnell aus dem Jackenbereich rüber zu den Hosen und wegschnappen. Nur in wenigen Abteilungen wurden die Prämien untereinander geteilt. Das ist alles natürlich auch den Kunden gegenüber verlogen. Die werden verarscht. Wenn man gefrustet ist, macht es irrsinnig Spaß, den Leuten Sachen anzudrehen und zu sagen: „Das steht ihnen unheimlich gut, gute Qualität, das unterstreicht ihren Typ“ - aber der Kunde sieht damit in Wirklichkeit aus wie ein Eimer. Wenn der von der Kasse weg ist, rennt man erst mal in die Umkleidekabine und lacht sich krank. Viele wollen einfach Umsatz machen, denen geht es gar nicht mehr darum, was die Kunden wollen.

Haben Sie das tatsächlich so gelernt?

Klar. Es kommt darauf an, wie man etwas erzählt. Beispielsweise wurde ich bei meiner Abschlußprüfung gefragt, warum Jeansstoff nur auf einer Seite blau ist. Aber die Antwort hatte ich vergessen - es liegt daran, daß ein Faden hell ist und einer dunkel. Da habe ich einfach Blödsinn erzählt und trotzdem eine Zwei gekriegt.

Gehen einem die Kunden nicht einfach auch manchmal auf die Nerven?

Am schlimmsten sind die, die zu Geld gekommen sind. Die geben an, zeigen so richtig ihr Bargeld vor oder klappen zehn Kreditkarten raus. Aber es gab auch nette Kunden, da haben auch viele vom Film eingekauft: so eine tolle ältere Frau, die für Harald Juhnke Sachen besorgt hat. Wir gingen an die Kasse, plötzlich griff sie sich in den Ausschnitt. Ich dachte: Oh Gott, was ist denn jetzt los. Da holte sie die ganzen Geldscheine aus dem BH raus.

Was war der Grund dafür, daß Sie gegangen sind?

Man wird ständig unter Druck gesetzt, schnell zu arbeiten und alles zugleich zu tun: bedienen, Staub wischen, auf Diebe achten, Sachen auspacken. Dann darf man sich nirgendwo anlehnen, hinsetzen schon gar nicht. Und wenn einen mal Leute besuchen, dann darf man sich höchstens zwei oder drei Minuten mit denen unterhalten - selbst wenn der Laden leer ist. Die Pausen werden genau kontrolliert, raus kommt man kaum, weil der Weg aus dem KaDeWe einfach zu lang ist und dann die Pause rum ist.

Was war denn die schönste Geschichte, die Sie erlebt haben?

Da gab es mal eine Kundin, die hatte Durchfall und hat vor unsere Hauptkasse gemacht, weil sie die Toiletten nicht gefunden hat. Mit den Toiletten ist das nämlich so eine Sache. Die sind ganz hinten in der Abteilung, ziemlich versteckt zwischen zwei Anzugregalen, nur so ein einen Meter breiter Spalt, schlecht ausgeschildert. Die Frau hat in der Damenkonfektion gefragt, dann wurde sie erst mal ordentlich durch die Gegend geschickt, manche Verkäufer sollen das ja gern machen. Und als sie dann endlich vor unserer Kasse noch mal fragte, war's zu spät. Ich hab‘ dann nur noch die Putzleute gesehen, die das weggesaugt haben, aber es stank tierisch.

Zum Schluß wollen wir noch wissen, was es mit den geheimnisvollen Nummern auf sich hat, die immer durchgesagt werden. „24 an 395, bitte“ oder so ähnlich.

Die Nummern beziehen sich auf bestimmte Abteilungen und bestimmte Personen. Wenn zum Beispiel jemand etwas stiehlt, ertönt „389 auf 457“. Dann weiß der Detektiv, in welcher Abteilung gerade gestohlen wurde. Zum Teil bezieht sich das auch auf Belangloses, etwa daß Telefonhörer nicht aufgelegt sind. Aber im KaDeWe ist das natürlich etwas exklusiver, die wichtigen Leute haben so einen Piepser für die Anzugtasche. Es gibt noch mehr Geheimnisse, nämlich die blauen, roten, gelben und grünen Lampen. Die blinken, wenn Bombenalarm ist, damit erst mal das Personal Bescheid weiß und keine Panik ausbricht.

Und welche Nummer steht für das Klo?

Das ist die 17. Die wird aber nicht ausgerufen, sondern nur benutzt, wenn Kunden anwesend sind. Da sagt man dann dem Kollegen: „Ich gehe mal auf 17.“ Denn Verkäufer gehen eben offiziell nicht auf Toilette, sondern auf 17.

Interview: kotte

Die Kaufhaus-Schau von Ades Zabel und den Teufelsbergern ist heute und morgen in der „Zeltbühne Ludwigslust“ am Blücherplatz, 1 Berlin 61 jeweils um 20 Uhr 30 zu sehen.