Erster Ansturm auf die Sozialämter

■ Bereits 500 Anträge auf Sozialhilfe seit dem 1. Juli in Ost-Berlin / 200 Millionen Mark für Sozialtopf / Sozialsenatorin Stahmer will „kontinuierliche Geldspritzen“ aus dem Fonds „Deutsche Einheit“

Berlin. Täglich 500 Anträge auf Sozialhilfe wurden seit dem 1. Juli in Ost-Berlin bereits gestellt, die Zahl der Beratungen in den Sozialämtern liegt sogar doppelt so hoch. Damit scheint sich die Prognose des Ostberliner Sozialstadtrats Sparing (CDU) zu bewahrheiten: Er hatte für die allernächste Zeit mindestens 30.000 Sozialhilfeempfänger allein im Ostteil der Stadt vorhergesagt.

Der Sozialhilfefonds ist derzeit der einzige Finanztopf, der in Ost-Berlin gesetzlich gesichert ist. Das Magistratssäckel ist leer, Ost-Berlin rechnet allein im zweiten Halbjahr dieses Jahres mit einem Haushaltsdefizit in Höhe von 1,5 Milliarden Mark. Entsprechend muß sich Gesundheitsstadtrat Zippel (CDU) mit einem Etat von 200 Millionen zufriedengeben, obwohl er unter anderem für Bauvorhaben und Medizintechnik „mindestens 5 Milliarden gut gebrauchen“ könnte.

Da sich nach Berechnungen der Sozialsenatorin Stahmer (SPD) die Kosten in diesem Bereich mit dem Zusammenwachsen der Stadt jährlich von drei auf mindestens sechs Milliarden Mark erhöhen, will sie in Gesprächen mit Bonn eine Sonderförderung für das Berliner Gesundheits- und Sozialwesen sicherstellen. Ihr Vorschlag: „Umtopfung“ von Mitteln aus dem Etat des Innerdeutschen Ministeriums sowie kontinuierliche Geldspritzen aus dem bereits beschlossenen, von Bund und Ländern gespeisten Fonds „Deutsche Einheit“. Stahmer sprach sich dafür aus, nicht alle DDR-Traditionen „umgehend über Bord zu werfen“. Die Betreuung in Polikliniken und Betriebsambulanzen erscheine ihr vorbildlich.

Die Finanzierung der Polikliniken ist bis zum Ende des Jahres gesichert. Dennoch laufen schon jetzt in vier dieser Einrichtungen Pilotprojekte an, die nicht mehr wie bisher pauschal unterstützt werden, sondern sich mittels Abrechnung der erbrachten Leistungen in Eigenfinanzierung üben. Gerade in den Ostberliner Polikliniken, so Zippel, „haben sich jahrelang Ärzte und Schwestern in Nischen versteckt, indem sie sich krampfhaft an höchstens zwei Patienten pro Tag festhielten“.

Dies soll durch Abrechnungen künftig unterbunden werden. Arbeitslosigkeit im Rahmen von Rationalisierungen brauchen insbesondere Schwestern aber dennoch nicht zu fürchten: Vereinbarungen im Hinblick auf Umschulungen und Kündigungsschutz wurden zwischen Gesundheitsministerium und Gewerkschaft für Gesundheitswesen bereits getroffen, und: „Schwestern werden weiter dringend gebraucht.“

maz