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Der Koch im Sozialismus

■ Ein Restaurantbesuch in der (Ex-)DDR ließ bislang und in den meisten Fällen West-Besucher erschauern und Ost-Einheimische resignieren. Doch die Schuld an der Speisenmisere darf mitnichten den Köchen gegeben werden, sondern die war - tja, wem wohl - dem mangelwirtschaftenden System zuzuschreiben.

THORSTEN PREUSS besuchte in Marzahn eine Ausbildungsstätte für Kochkünstler.

u den Spezies kritikwürdiger realsozialistischer Gestalten, denen der Durchschnitts-Wessi bei seinem Einmal-im-Jahr -Besuch in der DDR begegnete, gehörten - immer ganz oben auf der Beschwerdeliste - die „Mitarbeiter des Hotel- und Gaststättenwesens“. Die Kellner und Köche der Soljanka -Republik waren für jeden, der im Westen schon einmal weltmännisch an einem chinesischen Restaurant vorbeigegangen ist, der unfreundliche Beweis, daß unter der Diktatur des Proletariats der Plan „Heute gut essen gehen“ beinahe als Straftat gelten mußte. Der Wunsch nach einem extravaganten Abendmahl beispielsweise, mußte dem Staat als öffentliche Bloßstellung seiner planungsbedingten gastronomischen Unfähigkeit erscheinen, weshalb die Realisierung solcher Ideen dem Bürger so schwer wie möglich gemacht wurde.

Nach den bestrafungssüchtigen Volkspolizisten waren die Köche und Kellner der DDR die Berufsgruppe, gegen die es die größten Vorurteile bei Westdeutschen gab. Ein Grund also, den Ort zu besuchen, an dem die so Mißachteten das Fachwissen vermittelt bekommen, das sie eigentlich davon abhalten sollte, beim Gast einen negativen Eindruck zu hinterlassen.

Die „Betriebsberufsschule Simon Bolivar“ befindet sich im Ostberliner Neubauvorort Marzahn. Von außen wie von innen deutet nichts darauf hin, daß hier zur Zeit etwa 1.300 Lehrlinge zu „Köchen, Kellnern und Empfangssekretären“ ausgebildet werden. Alles sieht aus wie in einer Schule, in der, bei entsprechendem Lehreraustausch, wie die Direktorin bestätigt, „genausogut Schuhmacher ausgebildet werden könnten“. Der Grund dafür ist, daß hier nur die theoretische Ausbildung stattfindet. Zweimal die Woche kommen die Lehrlinge aus den Hotels, den Gaststätten, der Mitropa oder der Großküche irgendeines Kombinats. Auf dem Lehrplan stehen dann berufsspezifische Fächer wie „Ernährungslehre“ und „Technologie der Speisezubereitung“ oder - bis zur Novemberrevolution DDR-typisch - „allgemeinbildende Fächer“ wie „Betriebsökonomie“, „Staatsbürgerkunde“ und die besonders unbeliebte „Wehrerziehung“. Die letztgenannten werden nun - im Zuge der „Lehrplanangleichung an westlichen Standard“ - in Betriebswirtschaftslehre und Sozialkunde umgeschrieben, die sowieso gaststättenuntypischen Militärspiele abgeschafft.

Von der Berufsausbildung her gesehen, braucht sich ein Koch, ausgebildet in der DDR, hinter niemandem zu verstecken, erklärt die Direktorin, Frau Kaufmann. Wie die einzelnen Zutaten mit- oder gegeneinander wirken oder wie eine Soße am besten gebunden werden kann, ist alles Bestandteil des Lehrplans wie in der vergleichbaren Westberliner Schule auch. Die Kellner bekommen sogar eine Grundausbildung im Umgang mit Menschen, sprich Gästen. Darin wird der Ernstfall geprobt, der zum Beispiel eintreten kann, wenn ein Choleriker nach dreißigminütiger Wartezeit das viel zu kleine Steak vor lauter Kohl nicht auf seinem Teller finden kann.

er Staat hatte, wie sollte es anders sein, für die gesamte Ausbildung die Verantwortung, was teilweise auch entschiedene Vorteile hatte. Anders als im Westen, wo nur die Theorie vom Staat verabreicht wird und die Praxis den jeweiligen Unternehmen überlassen ist, gibt (oder gab) es in der DDR das „Lehrmeisterprinzip“. Jedes Objekt, das Lehrlinge ausbildet, hat einen solchen Lehrmeister, der nur für die Ausbildung zuständig ist. Er zeichnet verantwortlich, daß jeder einzelne Lehrling die umfangreichen Lehrplananforderungen in der Praxis mindestens einmal erfüllt, also auch Speisen zubereiten lernt, die nicht auf der Karte des jeweiligen Etablissements stehen. Die Lehrmeister haben in der Regel einen Abschluß der „Betriebsakademie“ und sind nicht selten „internationale Meisterköche“. Die Lehrzeit beträgt im Gegensatz zum Westen, wo drei Jahre obligatorisch sind, in der DDR nur zwei Jahre. Das heißt aber nicht, daß weniger gelernt wird, sondern lediglich, daß im Westen ein Lehrling als Tribut an die knallhart kalkulierende Gastronomie zwölf Monate länger zum Niedrigstgehalt arbeiten muß.

Eine Entwicklung, die sich nun auch für die DDR, oder korrekter: Ex-DDR, abzeichnet. Das Lehrmeisterprinzip wird vermutlich abgeschafft, weil den bald privatisierten Gaststätten und Hotels diese Mitarbeiter einfach zu teuer werden, denn zukünftig müßten diese aus eigener Tasche bezahlt werden. Auch die Lehrlinge selbst sind zunehmend verunsichert. Im Moment weiß niemand von ihnen, welche Ausbildungsbetriebe nach der kürzlichen Mark-Mutation noch weiterarbeiten werden.

Daß der Ruf der DDR-Küche so schlecht war und zum Teil noch ist, hängt also keineswegs mit der Ausbildung zusammen. Diese war, das bestätigen auch westliche Experten, sehr gut. Nur die planwirtschaftlich gesteuerte Verödung und Gleichschaltung selbst der Speisekarten der kleinen Republik hat verhindert, daß sich die Küchenchefs - abgesehen von einigen bevorzugt belieferten „Dollarhäusern“ - einen guten Namen machen konnten. Daß die Kellner „Tagesmahlzeiten mit Sättigungsbeilagen“ dem Gast meist widerwillig, statt freiwillig zu Tisch getragen haben, hatte ebenfalls systembedingte Ursachen, meint Frau Kaufmann. „Der Kunde ist König, und der Kellner ist Kaiser“ war das Berufsmotto der servierenden Zunft. Gehalt fest garantiert, Konkurrenz nicht vorhanden, Arbeitsplatz war sicher, Leistungsmotivation gleich Null.

In der Mangelwirtschaft will der Gast was vom Kellner, nicht der Kellner was von ihm. Außer Trinkgeld. Deswegen war für ein solches - in D-Mark - auch all das zu haben, was der Durchschnittsbürger, naiv wie er ist, auch ohne zu erwarten glaubte. Vor allem in den großen Interhotels verdiente der Kellner manchmal mehr als der Direktor. Weshalb, wie Frau Kaufmann bestätigt, der Beruf eines Kellners sehr begehrt war.

Daß alle die, die ihre Berufsausbildung an der Betriebsberufsschule „Simon Bolivar“ ordentlich abgeschlossen haben, für das jetzt ins deutsche Haus stehende Rennen zwischen „Pizza-Kebab-Hamburger“ und „Zigeunersteak-Hackepeter-Soljanka“ gut gerüstet sind, steht fest. Aber auch die Tatsache, daß der Ruf dieser Zunft nach wie vor schlechter ist als ihre Fähigkeiten. Wo letztendlich die besseren Köche zu finden sind, entscheidet nicht die Ideologie, sondern der gute Geschmack, und den darf man ja so er überhaupt vorhanden ist - nun wieder überall im Lande pflegen.

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