Die Bemme

■ Was dem einen seine Auster, ist dem anderen seine Klappstulle. Oder: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein. HERR THÖMMES über die Wiederentdeckung einer Pretiose der deutschen Küche.

Es gibt Stimmen, die sagen, die Wiedervereinigung bringt uns nur zusätzliche Kosten. Die so reden, sind kleinmütige Hungerleider ohne Aktienanteile bei Siemens und BMW. Der wahre Patriot wird entschädigt durch eine Rezept der sächsischen Küche, das alle möglichen Nachteile aufwiegt, denn es ist von gesamtdeutscher Delikatesse: die Bemme.

Wir kennen die Bemme auch hierzulande, nur der Name wechselt mit der Region wie die Traubensorten in den Weinbergen: Hasenbrot, Vesperbrot (sprich: fäschba) oder schlicht und proletarisch – Klappstulle. Welche Bescheidenheit gehört dazu, sich aufs Wesentliche zu beschränken, welche Klugheit. Brot, Butter, Wurst, Käse. Mehr nicht. Aber für den anspruchsvollen Esser schlummert hier eine kulinarische Perle von hohem Reiz. Nur frisch müssen unsere Zutaten sein, frisch wie der deutsche Nationalismus, aber möglichst ohne Schadstoffe. Sehen Sie sich den Bauern deshalb genau an, der ihnen seine Ware anbietet: Würden Sie von ihm einen gebrauchten Trabi kaufen? Sie würden. Also beziehen Sie von ihm auch die benötigten Zutaten für die Klappstulle.

Irgendwie und irgendwann hat sich bei den Stullenrezepten die gleiche Unsitte eingeschlichen wie beim Kochen und Braten. Die Rezepte wurden offenbar für arme Leute geschrieben, die sich daran nicht störten, wenn Einfaches mit Schlechtem verwechselt wurde. Dem mag früher einmal ein Sparprinzip zugrunde gelegen haben. Aber seit die Kosten für Mehl, Butter und Eier im Vergleich zu den anderen Lebenshaltungskosten keine Rolle mehr spielen, ist diese Einstellung änderungsbedürftig.

An einem Tag des vergangenen Sommers, als die Sonne uns so großzügig verwöhnte, habe ich, wenn der Tag sich neigte, die Lindenblüten aus meiner Schreibmaschine geschüttelt und zur Flasche gegriffen. Ich schenkte mir ein großes Glas Wein ein und rief: Der Mensch lebt nicht vom Brot allein! Und meine Nachbarin, die Äbtissin, bekreuzigte sich. Nur ist doch wahr, daß es der Belag – Butter, Käse, Wurst –ist, der uns zu Sündern macht. Ich habe ihnen jedenfalls schon vor Jahren einen Platz in einem Sommerseminar eingeräumt (nachzulesen in meinem Buch „Nicht nur Kraut und Rüben“).

Heute also jenes unscheinbare Bemmchen, welches sich hoch über die übrige Küchenfolklore der neudeutschen Landschaft erhebt. Es entspricht bis ins Detail den Vostellungen, die ein erfahrener Feinschmecker von einem raffinierten Schwerpunkt der Gourmet-Küche hat. Vielleicht ist es deshalb als Sandwich in der französischen Küche so gut bekannt, was uns im übrigen nicht irritieren darf: Was deutsch war, muß deutsch bleiben. So wird es zubereitet:

Man nehme, so denn ein Markt in der Nähe ist, wo gleichzeitig frische Butter und Brot zu kaufen sind (irrsinnig teuer sind sie in jedem Fall), man nehme also Abschied von der Vorstellung, Brot müsse plastikverschweißt im Regal liegen mit der Konsistenz eines Flummi und Butter sei weiß wie das Laken einer schwäbischen Hausfrau. Das ideale Brot (aus Mischgetreide, nicht Vollkorn- und nicht Weißbrot) wäre von Monsieur Balorat, der mit seinem duftenden Stand zweimal die Woche den Markt von St. Tropez aufsucht, aber da ich nicht eines einzigen Brotes wegen (bei zweien, warum nicht!) nach St. Tropez fahre, habe ich nach langem Fahnden bei Radebeul (Karl-May-Freunde kennen das) mein Glück gefunden.

Professionelle Köche haben zwar verschiedene Methoden, doch ich drücke mir den Laib in Höhe des Brustbeins leicht an und schneide dann (sorgfältig) zum Körper hin mit eine langen Klinge fingerdicke (!) Scheiben. Brot ist keine Salami, die ich nur papierfein möchte, und doch findet sich oft dort, wo man kreativ, aufregend und um höchste Kochkunst bemüht ist der Nebeneffekt, daß man über das Ziel hinausschießt und Kunst um der Kunst willen macht; da bleibt dann die kulinarische Vernunft auf der Strecke.

Nun wird bestrichen. Mehr als eine Million Tonnen Butter sind nicht zu verkaufen und werden irgendwann vernichtet werden. Eine Million Tonnen Butter sind zwar nicht so viel wie zwei Millionen Arbeitslose, aber Kopfzerbrechen machen sie schon. Doch das Problem muß ohne mich gelöst werden. Die Veränderung des Konsumentengeschmacks erlaubt mir, ohne große Schwierigkeit der EG-Massenware die kalte Schulter zu zeigen. Irische oder bretonische Butter, leicht gesalzen und etwas maisfarben, führt mein anspruchsvoller Lebensmittelhändler in der Stadt. Eine Stunde vor der Zubereitung der Klappstulle nehme ich sie aus dem Kühlschrank, und beim Streichen gibt es keinerlei Zurückhaltung: Wir basteln eine Bombe! Sowohl was den Wohlgeschmack angeht als auch den Kaloriengehalt.

Ach ja, der Belag. Das Essen von Würsten gehört zu unserm Nationalcharakter wie die Liebe zum Wald. Ein deutsches Abendessen besteht in knapp 90 Prozent aller Haushalte aus Wurstbroten. Kein Volk der Erde übertrifft uns in dieser Disziplin. Wurst und Brot und Butter – intensiver kann kein Schwein gemästet werden. Nur ist das Ganze leider kein Schurkenstück mit kleiner Besetzung, sondern ein Trauerspiel unter Beteiligung aller. Die Verbraucher haben es durch ihre notorische Anspruchslosigkeit mitinszeniert. Vor den Erzeugnissen der Metzgereien und der Wurstfabriken stehen wir hilf- und ahnungslos. Sie waren und sind nie das Ziel einer aufklärenden Kritik; ihr Wert oder Unwert wird nicht diskutiert.

Wäre da nicht der Metzger Thomma in Bad Horb mit seiner Schinkenwurst (Parmaschinken u. ä. ist schlechter Snobismus), wir müßten ins Ausland und als guten Behelf zur klassischen Lyoner retten (genau, dort, wo Meister Paul Bocuse sein Domizil hat). Ich kann nur jedem Feinschmecker wünschen, daß er nicht gleich ein halbes Kilo Schinkenwurst in der Küche hat. Denn was er auch damit anstellt, vier Tage hintereinander Klappstullen mit Schinkenwurst im Überfluß verdirbt selbst dem gierigsten Parvenü den Spaß.

Die zweite Möglichkeit des Belags führt zu einem dunklen Kapitel deutscher Eßgeschichte. Es gab einmal eine Zeit, da hielten die Bundesbürger dünne, gelbe Gummischeiben, welche in Klarsichtfolie eingeschweißt waren, für eßbar, bloß weil sie unter der Bezeichnung Käsescheibletten zu kaufen waren. Wir fanden auch nichts dabei, eine weiche, in Silberpapier eingekerkerte Klebrigkeit namens Käseecke aufs Brot zu schmieren. Bei dem Wort Camembert dachten wir an eine Pappschachtel, die eine halbtrockene und geruchlose Masse enthielt, deren Verwertbarkeit nur von Exzentrikern mit der Kulinarik in Verbindung gebracht wurde.

Inzwischen kennen wir von unseren Reisen Käse aus Rohmilch. Käse, wie es sie nie zuvor gegeben hatte in den deutschen Landen. Käse aus den Almhütten und von Ziegenbauern, Käse mit Aroma. Wie das? Was dieses Produkt der Milchwirtschaft zur Delikatesse macht, ist nichts anderes als die Lebendigkeit gewisser Bakterien. Und hier will das Gesetz das Erhitzen der Milch zu Pflicht machen! Pasteurisierter Käse ist ein toter Käse. Somit ist auch klar, was bei mir auf die Klappstulle kommt.

Sie ist so einfach, die Bemme, und doch voller Raffinement; so schlicht wie ein Diamant am Gummiband. Es ist doch wahr: Keine Maxime der Küche hat so sehr geschadet wie die Behauptung, daß das Auge mitesse. Was zu jenen affektiert-effektvollen Dekorationen geführt hat aus Salatblättern, Gurkenscheiben und halben Tomaten, die meine Klappstulle in Minutenschnelle zu einem feuchten, durchsuppten Etwas vermatschen. Klappstulle aber heißt Klappstulle pur, der Charme der Tradition: Brot, Butter, Wurst oder (sic!) Käse, in der Mitte durchgeschnitten und vorsichtig aufeinander gelegt, an den Rändern leicht angedrückt – fertig. Was die Profis damit alles anstellen, ist eine andere Sache, das gehört in den Bereich der Artistik, den ich erst gar nicht anstrebe.

Reisende Feinschmecker auf dem Weg mit der Eisenbahn oder dem Zug kennen die Malaise, welche Klappstullen machen können; ausgetrocknet und spröde. Bei einem Besuch in einer Leipziger Kaufhalle habe ich eine Lösung gefunden, die auch verwöhnten Zungen standhält. Was dem Arbeiter fürs warme Essen der Henkelmann, ist mir seitdem die Stullenbüchse, leicht aus Aluminium und formgerecht; 2,48 Mark sollte jeder opfern können, zumal diese Behälter bald als Raritäten gehandelt werden können wie ein premier grand cru classe.

Stellt sich die große Quizfrage: Was trinkt man zur Bemme? Ich habe es in mannhaften Selbstversuchen herausgefunden: einen „Y“, das ist der fast trockene Zweitwein von Chateau d'Yquem. Einmalig und unvergleichlich!

(Die kursiven Ausführungen sind den zahllosen Veröffentlichungen Wolfram Siebecks entnommen, in Normalschrift schiebt Herr Thömmes einige Brosamen dazwischen.)