"Fahret ab, Ihr Saukaip"

■ Das Fußball-Länderspiel Schweiz-Deutschland vom 2. Mai 1937 * Das Fußball-Länderspiel Schweiz-Deutschland vom 2.Mai 1937 im Spiegel zeitgenössischer Gestapo-Protokolle

im Spiegel zeitgenössischer Gestapo-Protokolle

Von Werner Trapp

Zürich - 2. Mai 1937, ein Sonntag. Vor einer Wirtschaft parkt ein deutscher Omnibus, ein Großteil der Fahrgäste befindet sich im Lokal. Nur ein Ehepaar und ein 40jähriger Mann aus Stuttgart bleiben beim Fahrzeug zurück. „Als wir kurze Zeit an dem Omnibus standen“, so erinnert sich der Stuttgarter wenige Tage später, „kamen etwa vier bis fünf Schweizer Kinder, die schätzungsweise drei bis sechs Jahre alt waren, zu uns her und baten um Hakenkreuzfähnchen. Ich gab den Kindern insgesamt drei Fähnchen, an denen sie eine große Freude hatten. Nachdem die Kinder im Besitz der Fähnchen waren, verließen sie uns und gingen auf die gegenüberliegende Straßenseite. Als sie dort angelangt waren, ging ein schätzungsweise dreißig Jahre alter Mann auf die Kinder zu, nahm denselben die Fähnchen aus der Hand und zerriß sie, wobei er in seinem Schweizer Dialekt sagte: 'Das ist nichts für euch.'“ („Da isch nööt für eu!“)

Zürich - 2. Mai 1937, kein gewöhnlicher Sonntag. Der Stuttgarter, der scheinbar arglos seine Hakenkreuzfähnchen an Schweizer Kinder verschenken wollte, ist nur einer von rund 11.000 süddeutschen Schlachtenbummlern, die an diesem ersten Maiwochenende mit Bahnen, Omnibussen und Privatwagen angereist waren, um das Länderspiel ihrer Mannschaft, der Nationalmannschaft des Deutschen Reiches, gegen die Schweiz auf dem Grashoppersplatz zu verfolgen.

Deutschland im Mai 1937 - ein Land, das die Anfänge der nationalsozialistischen Staatsumwälzung von 1933/34 offenbar hinter sich hat. Die Jahre der Krisennot und der Massenarbeitslosigkeit scheinen überwunden, ja im Gefolge der forcierten Aufrüstung und einer blühenden Rüstungskonjunktur macht sich vielerorts bereits ein empfindlicher Arbeitskräftemangel bemerkbar. Die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht 1935 und die „Befreiung aus den Fesseln von Versailles“ 1936 hatten das nationale Selbstbewußtsein gestärkt - man war wieder wer.

Stark genug zum Beispiel, um mit der Unterstützung des Kampfes von General Franco gegen die spanische Republik auch die außenpolitische Reserviertheit zurückliegender Jahre abzulegen.

Hakenkreuzfahnen

aus Sonderzügen

Entsprechend selbstbewußt traten sie auf in Zürich, die Gäste aus Deutschland, nationalbewußt, und im Lichte ihres massenhaften Auftretens in der Schweiz verliert auch das Gastgeschenk des Stuttgarters für die Straßenkinder von Zürich seine Unschuld: Bereits bei der Anreise flatterten Hakenkreuzfahnen aus Sonderzügen und den noch meist offenen Reisebussen (Autocars) der Deutschen, waren deutsche Autolenker an ihren hakenkreuzbewimpelten Karossen unschwer erkennbar. Am Sonntagvormittag dominierten Hakenkreuzfahnen die Hauptstraße von Zürich; Tausende von Deutschen mit Hakenkreuzfahnen aller Größen auch in anderen Straßen der Stadt.

Die deutschen Fußballanhänger, die das Gastspiel ihrer Mannschaft dergestalt zur Demonstration ihres wiedergewonnenen nationalen Selbstwertgefühls nutzten, fanden sich dabei durchaus im Einklang mit den Zielen ihrer Regierung: Für das nationalsozialistische Deutschland waren sportliche Großveranstaltungen dieser Art - das hatte am eindrucksvollsten die Berliner Olympiade ein Jahr zuvor gezeigt - ein probates Mittel, den eigenen Friedenswillen nach außen zu betonen und die Weltöffentlichkeit über die Schand- und Schattenseiten des Regimes hinwegzutäuschen. Jedes Länderspiel einer deutschen Mannschaft im Ausland bedeutete zudem ein Stück willkommener Anerkennung auf internationaler Bühne, bot die Möglichkeit, dem NS-Staat neue Sympathien zu erschließen.

An jenem 2. Mai 1937 scheint dieses Kalkül jedoch nicht ganz aufgegangen zu sein. Der Termin, das erkannten Kreise der „Geheimen Staatspolizei“ - wenn auch offenbar zu spät -, war denkbar ungünstig gewählt. „Zur Verhinderung von Ausschreitungen und zur Vermeidung größerer Zwischenfälle“ hatte man - in Absprache mit der Schweizer Polizei - noch in letzter Minute „umfangreiche Vorkehrungen“ getroffen, zum Beispiel sämtliche deutsche Reisegesellschaften angewiesen, die Schweizer Grenze frühestens in der Nacht zum 2. Mai zu überqueren.

Nationalsozialistische Schlachtenbummler

im roten Zürich

Ziel der fieberhaften Aktivitäten: ein Zusammentreffen deutscher Schlachtenbummler mit den sozialistischen Maifeiern im damals mehrheitlich roten Zürich mit allen Mitteln zu unterbinden.

Die „Vorkehrungen“ freilich konnten nicht mehr verhindern, was ein Elektromechaniker aus Stuttgart der dortigen Gestapo -Leitstelle nach dem Spiel so zu Protokoll gab: „Auf der Strecke nach Zürich wurden wir hauptsächlich in Winterthur, man kann sagen auf der ganzen Strecke, mit erhobenen Fäusten empfangen. Kleine Kinder haben gegen uns sogar die Zunge herausgestreckt und lange Nasen gemacht. Auf der Rückfahrt wurden wir mit erhobenen Fäusten und 'Rot-Front'-Rufen empfangen, auch haben uns Passanten mit erhobenem Stock bedroht. In Winterthur wurde uns Dreck in den Wagen geworfen. Frauen haben uns nachgeschrien: 'Fahret ab, Ihr Saukaip‘ und anderes mehr. Wir konnten nicht alle Schimpfrufe verstehen, weil der Wagen in Fahrt war. Ein typischer Jude, der am Weg stand, hat uns sogar beide Fäuste entgegengehalten, was er dabei geschrien hat, habe ich nicht verstanden.“

Wie diese Stuttgarter hatten in den ersten Tagen nach dem Spiel Dutzende von Deutschen der Gestapo oder örtlichen Polizeidienststellen ihre Schweiz-Erlebnisse geschildtert, weil sie, wie eine Frau aus dem Schwäbischen, der Meinung waren, „daß ein solch rüpelhaftes Benehmen gegenüber Deutschen im Ausland unbedingt einer maßgebenden Behörde zum Ausdruck gebracht werden muß„“

Mit deutscher Akribie sammelte die maßgebende Behörde, die Staatspolizeileitstelle in Stuttgart, diese Protokolle deutschen Unmuts über eine Opposition, mit der offenbar niemand gerechnet hatte. Sie lieferte so nicht nur eine Momentaufnahme deutschen politischen Bewußtseins im Jahre 1937, sondern auch ein Psychogramm schweizerischer Ängste gegenüber dem erstarkenden nationalsozialistischen Deutschland, ein facettenreiches Portrait schweizerischer Be - und Empfindlichkeiten gegenüber den Zumutungen des braunen Nachbarn im Norden.

Im Zeugnis eines 37jährigen Polizeihauptwachtmeisters aus dem oberschwäbischen Ravensburg, der auf der Heimfahrt eine „30x20 Zentimeter große Hakenkreuzfahne“ über dem Omnibus hatte flattern lassen, liest sich das so: „Es mag noch in einem Vorort von Zürich gewesen sein, als wir an einer Kaserne vorbeifuhren. Verschiedene vor der Kaserne sich aufhaltende Personen, darunter auch Soldaten, erhoben die geballten Fäuste und spien gegen uns. Man konnte vielmals Pfuirufe hören. Sämtliche Fahrtteilnehmer hatten das Gefühl, daß auf der Heimreise noch manches kommen könne. (...) Kurz nach 19 Uhr trafen wir in Winterthur ein. Die Straßen waren zu beiden Seiten dicht mit Menschen angefüllt. Diese gebärdeten sich wie die Wilden, und es war ein fortwährendes Gejohle, Pfeifen und wüstes Geschrei zu sehen und zu hören. Hunderte zeigten ihre geballten Fäuste. Es fielen Schmährufe, insbesondere Pfuirufe gegen uns. Viele Personen spuckten gegen das Fahrzeug. Mehrere Demonstranten zeigten uns ihre Kehrseite. Vielfach wurde mit Steinen nach uns geworfen und der Omnibus getroffen, ohne das Fahrzeug zu beschädigen. Man konnte ohne weiteres annehmen, daß es sich um eine Demonstration gegen uns Deutsche handelte, die organisiert war.“

Die Fahnen zerfetzt

und damit über

das Gesäß gefahren

„Am schwersten zu beanstanden“ - so befand ein Bericht der Gestapo Stuttgart an das „Geheime Staatspolizeiamt“ in Berlin - „sind die Vorgänge in Schaffhausen: Die zurückkehrenden Deutschen hatten dort den Eindruck, in 'Feindesland‘ zu sein. Bei der Einfahrt stand eine größere Anzahl von Personen, die jeden deutschen Wagen beschimpfte. Der dabeistehende Polizist ließ dies ruhig geschehen. Der Sonderzug, der in den Bahnhof Schaffhausen einfuhr, wurde von den dort Versammelten mit Schmährufen, kommunistischem Gruß usw. empfangen. Mehreren Deutschen wurden ihre Fähnchen entrissen, die Fahnen zerfetzt und damit über das Gesäß gefahren. In der Nähe von Schaffhausen waren nachts zwei große Brandstellen fast über die ganze Straßenseite gelegt.“

„Den Führer schon längst mit Scheißdreck verschossen...“

Der mehr oder weniger offene, zum Teil wohl auch organisierte Protest gegen die im Hochgefühl des Sieges heimkehrenden Deutschen - die deutsche Mannschaft hatte nach keineswegs überzeugendem Spiel mit 1:0 Toren gewonnen bildete das stets wiederkehrende Motiv fast all dieser Berichte. Doch - war es das „unerhörte Benehmen bolschewistischer Rowdies“ - so die Schlagzeile im NS -Zentralorgan 'Völkischer Beobachter‘, oder war es die politische Linke in den Arbeiterstädten Schaffhausen und Winterthur, welche die ablehnende Haltung der Schweizer Bevölkerung so deutlich artikulierte?

Lesen wir, was Deutsche über ihre eher zufälligen Kontakte und Begegnungen mit den Bürgern von Zürich zu berichten wußten: „Beim Aussteigen in Zürich habe ich einen Arbeitskameraden getroffen und wir begrüßten uns beim Ausgang des Bahnhofes auf der Straße mit 'Heil Hitler‘. Aus der anwesenden Menge Schweizer kam ein älterer Herr auf etwa fünf Meter Entfernung auf uns zu und sagte: 'Das könnt ihr in Deutschland machen, dazu braucht ihr nicht zu uns herüberzukommen.'“ - so ein 28 Jahre alter technischer Kaufmann aus Friedrichshafen am Bodensee.

Ein 21jähriger lediger Angestellter aus Stuttgart: „Am Sonntagvormittag, den 2.5.1937, zwischen acht und neun Uhr, ging ich zu Fuß in Zürich in Richtung Zürcher See. Ich hatte ein kleines Hakenkreuzfähnchen anstecken. Plötzlich fuhr dicht vor meinem Gesicht ein Spazierstock herunter. Gleichzeitig sprach mich ein älterer Mann an mit den Worten: 'Die Fahne hier kommt aber weg.‘ Mit den Worten: 'Die Fahne bleibt‘ ging ich meines Weges weiter und sprach kein Wort.“

Ein Rechtsanwalt aus Friedrichshafen am Bodensee gibt an: „Zwischen 13 und 14 Uhr des 2.5.1937 bin ich mit zwei Herren am Limmatquai spazierengegangen. Meinen Mantel trug ich über dem Arm, so daß mein am linken Rockaufschlag angestecktes Parteiabzeichen der NSDAP sichtbar war. Als wir am Limmatquai an zwei Männern vorbeigingen, die ihrem Aussehen nach bestimmt Juden waren, rief uns einer von diesen zu: 'Deutschland verrecke.‘ In nächster Nähe stand ein Polizeibeamter, zu dem wir uns sofort begaben und diesen baten, gegen die Person, die uns gerade beleidigt hatte, einzuschreiten. Der Polizeibeamte unternahm jedoch nichts, sondern fertigte uns mit leeren Ausreden ab.“

Nahezu kein Bericht, in dem nicht von solch kleineren Rempeleien oder Zusammenstößen die Rede ist: Eine Gruppe von Deutschen, die bei der Promenade am Zürichseeufer von „zwei 30- bis 40jährigen Frauenpersonen angerempelt und mit Nazipack tituliert“ wurde, zwei Schweizer Mädel, „die zwei deutschen Herren im Vorbeigehen deren mitgeführte Hakenkreuzfähnchen entrissen und davoneilten“, Männer in der Nähe des Bahnhofs, „die versuchten, die deutschen Gäste vom Besuch der Maifeier in der Zürcher Tonhalle, welche durch die deutsche Kolonie veranstaltet wurde, abzuhalten“, Zürcher Taxameterchauffeure, die sich weigerten, deutsche Besucher zum Fußballfeld zu fahren, die Zürcher Polizei, die nach dem Spiel versucht habe, „die Deutschen möglichst von der Straßenbahn wegzudrängen, um den Schweizern die frühere Abfahrt zu sichern“. Und immer wieder spontane Schimpfrufe wie: „Nazipack“, „Sauschwoben“, „Schwobechaip“, „Sauchaip“, „Nazihunde“ oder „Barbaren“.

Andere Zürcher versuchten, die deutschen Besucher in politische Diskussionen zu verwickeln, was offenbar besonders in der überfüllten Straßenbahn des öfteren gelang. Ein deutsches Ehepaar, das sich während eines Wortgefechts voll und ganz „zu unserem Führer“ bekannte, wurde in bestem Schweizerdeutsch beschieden: „Wenn wir so einen Führer hätten wie ihr, hätten wir ihn schon längst mit Scheißdreck verschossen.“

Schon bei der Ankunft am Bahnhof war den Deutschen aufgefallen, daß „nicht einmal eine Hakenkreuzfahne zu sehen war“. Bei Beginn des Spiels vermißte man die deutsche Nationalhymne, und als die deutsche Mannschaft bei Spielende mit dem Hitler-Gruß grüßte, wurde das mit gellendem Pfeifkonzert quittiert. Von der Stimmung im Stadion berichtete ein 24jähriger Mann aus Stuttgart: „Während des Länderspiels ist mir aufgefallen, daß die Pfuirufe mehr den anwesenden Deutschen gegolten haben als dem stattfindenden Spiel. Dies glaube ich dadurch begründen zu können, daß in dem Moment, wo bei den deutschen Schlachtenbummlern die Hakenkreuzfähnchen hochgingen, um ihren Spielern zuzuwinken, immer die Pfuirufe einsetzten.“

„Wie vor der Machtübernahme

in Deutschland“

Wie der Aufenthalt, so offenbar auch die Abreise aus Zürich: „Bei der Abfahrt mit dem Sonderzug hat sich ein Teil des zurückbleibenden Eisenbahnpersonals die Frechheit erlaubt, uns mit geballten Fäusten und abfälligen Handbewegungen nachzuwinken.“

Zwar gaben viele Besucher später auch zu Protokoll, sie seien von Schweizern mit dem „deutschen Gruß“ und mit „Heil Hitler“ gegrüßt worden - doch der „Gesamteindruck“, den ein verheirateter Kaufmann aus Kressbronn am Bodensee „über das Verhalten der großen Masse der schweizerischen Bevölkerung gewonnen“ hatte, war der, „daß sie uns Deutschen ablehnend gegenüberstehen“. Oder, wie es ein Stuttgarter Friseurmeister formulierte: „Wir haben uns tatsächlich von der Schweiz mehr vorgestellt, und wir haben nicht erwartet, daß uns ein derartiger Empfang zuteil wird.“ „Es war wie vor der Machtübernahme in Deutschland“, so erinnert sich ein technischer Kaufmann aus Stuttgart, „daß ein als Nationalsozialist erkannter Mensch die schmutzigsten Beschimpfungen ertragen mußte, ohne sich dagegen wehren zu können.“

Der all diese Protokolle zusammenfassende Bericht der Gestapo Stuttgart an das Auswärtige Amt in Berlin kommt zu einer ähnlichen Gesamteinschätzung, besonders im Vergleich zu den vorangegangenen Länderspielen der deutschen Mannschaft, die ohne Zwischenfälle und in „anständiger Weise“ verlaufen seien:

„Lediglich der Schweiz war es infolge der maßlosen Hetze, die dort gegen Deutschland getrieben werden darf, vorbehalten, ein Länderspiel zu politischen Demonstrationen zu mißbrauchen. Die Deutschen wurden in der Schweiz nicht als Gäste, sondern als Fremde fast allgemein frostig empfangen.“

„Ein beschämender Skandal?“

Unter der Überschrift „Verunglückte Nazi-Demonstrationen“ brachte das sozialdemokratische Basler 'Volksrecht‘ nach dem Spiel ein Photo von deutschen Schlachtenbummlern, die überdimensionale Hakenkreuzfahnen über den Paradeplatz in Zürich tragen. Dazu den Kommentar: „Es soll mal einer in Berlin es mit einer demokratischen Flagge probieren! Unverschämtheit und Frechheit feierten hier eine wahre Orgie.“

Ein Teil der Schweizer Presse sah das freilich anders. Einen „beschämenden Skandal“ nannte die 'Neue Zürcher Zeitung‘ anderntags die Vorgänge in Winterthur, die 'Appenzeller Zeitung‘ sprach von einem „betrüblichen Vorfall“ und betonte, „die Deutschen, die in die Schweiz kommen, sind unsere Gäste, auch wenn sie die Zeichen ihres Landes mit sich führen“. Im übrigen sorgte man sich um das Ansehen der Schweiz als Gastland: „Wenn man den Ruf unseres Fremdenlandes noch ganz vernichten will, so muß man solche Radaumacher nur gewähren lassen.“ Die „Freisinnige Partei“ in Winterthur ging sogar noch einen Schritt weiter, sprach von der „Beleidigung fremder Gäste auf Winterthurer Boden“ als einer „beschämenden Tatsache und Ungehörigkeit, die nicht geduldet werden darf“, und wollte vom Stadtrat wissen, wie die „Polizei in Zukunft solchen, das Ansehen der Stadt schädigenden Vorfällen zu begegnen“ gedenke.

Vollends distanzierte sich die Schweizer Regierung, das Eidgenössische Politische Department in Bern von den antifaschistischen Regungen des eigenen Volkes. Dort hatte die deutsche Gesandtschaft in Bern „weisungsgemäß Vorstellung erhoben und dabei insbesondere darauf hingewiesen, daß sich in gewissen Bevölkerungskreisen der Kantone Zürich und Schaffhausen eine deutschfeindliche Stimmung bemerkbar mache, die dazu angetan sei, die guten Beziehungen zwischen beiden Ländern zu stören“. Mit der Antwort durfte man durchaus zufrieden sein. Das Departement beeilte sich, zu erklären, „daß es Veranlassung genommen habe, die in Betracht kommenden kantonalen Behörden auf die unerfreulichen Rückwirkungen derartiger störender Zwischenfälle aufmerksam zu machen und ihnen die ernstliche Prüfung geeigneter Maßnahmen nahezulegen, die der Wiederholung solcher bedauerlicher Ereignisse vorzubeugen geeignet wären. Die Schweizerische Bundesregierung, die dauernd bestrebt sei, durch Aufklärung der Presse und somit der öffentlichen Meinung auf die ruhige und leidenschaftslose Beurteilung der politischen Vorgänge in den Nachbarländern der Schweiz, mit denen diese freundschaftliche Beziehungen zu unterhalten wünscht, einzuwirken, glaube somit der Hoffnung Ausdruck geben zu können, daß sich solche Zwischenfälle, die sie lebhaft bedauere und schärfstens verurteile, in Zukunft nicht mehr wiederholten.“

Schweizer Amtshilfe

für die Gestapo

Gehörte zu jenen „Maßnahmen“ auch die Amtshilfe der Schweizer Polizei für die „Geheime Staatspolizei“ des Dritten Reiches? Zumindest über die in Winterthur geplanten Aktionen muß die Gestapo schon im voraus gut informiert gewesen sein, denn unter den Demonstranten befand sich als Beobachter ein hoher Beamter der Gestapo-Leitstelle in Stuttgart, der später offenbar keinerlei Mühe hatte, sich den Originalbericht der Polizeistation in Winterthur über die dortigen „Vorkommnisse“ zu beschaffen. In einem als „Geheime Reichssache“ eingestuften Schreiben an das Staatspolizeiamt in Berlin wünschte dieser Herr jedoch ausdrücklich „die Beschaffung dieses Berichts auch im Falle einer Auswertung unbedingt geheim zu halten“, und in einem anderen Schreiben an die selbe Stelle bat er, „dafür Sorge zu tragen, daß ich in der Schweiz nicht als Verfasser der Berichte bekannt werde, da sonst gewisse Beziehungen leiden könnten.“

Ungeachtet dieser „gewissen Beziehungen“ aber habe die Polizei in Winterthur und in Schaffhausen „gänzlich versagt“, so befand ein Gestapo-Report an das Auswärtige Amt in Berlin: Lediglich in Zürich sei die Schweizer Polizei, „soweit sie dazu in der Lage war, gegen den Mob eingeschritten.“

Deutsche Unschuld, 1937

Wenigstens das aber hatten die heimkehrenden Deutschen erwartet: von der Schweizer Polizei vor den Belästigungen und Angriffen dieses „Mobs“ wirksam geschützt zu werden. „Alle Wageninsassen waren sich darüber einig, daß wohl in wenigen Staaten, die Anspruch auf Kultur erheben, das Gastrecht derart mit Füßen getreten wird“, entrüstete sich ein 38jähriger Kaufmann aus Stuttgart. Ein anderer Vertreter dieses Berufsstandes, 27 Jahre alt, bezeichnete „die Vorgänge in der Schweiz als geradezu skandalös“: „Wenn man überlegt, wie alle Ausländer in dem heutigen Deutschland als Gäste tadellos behandelt werden - und wenn wir Deutschen ins Ausland kommen, wird uns ein derartiger Empfang zuteil!“

Die deutschen Besucher, das geht aus nahezu allen Protokollen hervor, begriffen die Welt nicht mehr, fühlten sich als unschuldige Opfer einer Feindseligkeit, für deren Ursachen sie keinerlei Verständnis hatten. „Daß die Schweizer Bevölkerung uns Deutschen gegenüber ein solches Verhalten an den Tag legte, hätten wir nicht gedacht. Wenn ich dies gewußt hätte, wäre ich bestimmt nicht zum Länderspiel in die Schweiz gefahren. Es sah gerade so aus, als ob wir Deutschen den Schweizern etwas zu leide getan hätten und daß sie jetzt Rache an uns nehmen wollten.“ Deutsche Unschuld 1937 - aus dem Munde eines Stuttgarter Schneiders. Hatten die Deutschen nach vier Jahren Nationalsozialismus, bereits vergessen, daß das Hakenkreuz auch andere Reaktionen als Zustimmung und Begeisterung hervorrufen könnte? Diese deutschen Schlachtenbummler, die sich fähnchenschwingend zu einem Regime bekannten, das für politisch Andersdenkende kein Gastrecht mehr kannte und das unliebsame Minderheiten in Konzentrationslagern verschwinden ließ, forderten hier, auf ausländischem Boden, ganz ungeniert das Gastrecht und die Freiheit politischer Gesinnungsäußerung - ein Recht, das es in ihrem eigenen Land schon längst nicht mehr gab.

Das Tausende von Hakenkreuzfahnen in den Straßen Zürichs ein Gefühl der Bedrohung, ja die Angst auslösen könnten, die Deutschen kämen beim nächsten Besuch als Besatzer in Marschstiefeln und Uniformen -, dieser Gedanke lag offenbar außerhalb ihrer Vorstellungskraft.

Für viele Schweizer war diese Vision im Jahre 1937 bereits Gewißheit. Einer von ihnen, der sich in der Zürcher Trambahn mit einer Gruppe von Deutschen auf einen politischen Schlagabtausch eingelassen hatte, soll diesen nachgerufen haben: „Jetzt rüstet Deutschland auf, um über die anderen Völker herzufallen und um die Neutralität der Schweiz zu verletzen. Aber es wird Deutschland noch schwer aufstoßen, denn der heutige Zustand dauert höchstens noch fünf bis acht Jahre!“

Der Mann hatte sich nur um wenige Tage geirrt: Am 7. Mai 1945, fast auf den Tag genau acht Jahre nach diesem Länderspiel, unterzeichnete der deutsche Generaloberst Jodl im Hauptquartier Eisenhowers Reims jene Urkunde, die das Ende des „Dritten Reichs“ auch formell besiegelte: die bedingungslose Kapitulation der deutschen Wehrmacht.