„Die geben uns noch eine Gnadenfrist“

■ Gemischte Gefühle der Immigranten in Italien angesichts der Sympathiewelle für Kameruns Fußballer

Aus Benevent Werner Raith

Talano N'Komo aus Tansania kann „die Frage schon bald nicht mehr hören„; Hammar Ben Afir aus Kairo entdeckt bei sich „mitunter auch schon eine Art Rassismus - gegen Zentralafrikaner“, und Ali O'Hara aus Fez fürchtet, daß sie „uns jetzt bald allesamt 'chameronti‘ nennen - und bald darauf mit diesem Namen schimpfen werden“: Die Dauervermutung, bei Menschen mit dunkler Hautfarbe könne es sich derzeit nur um eine Sorte Zeitgenossen handeln, Fans (oder gar Mitspieler) aus Kamerun, hat wie eine Epidemie um sich gegriffen und ist in der Tat bereits dabei, den seit Jahrzehnten eingeführten Begriff „marocchini“ (für die Strandhändler, die einst tatsächlich vor allem aus Marokko kamen) durch den der „Kameruner“ zu ersetzen. In jedem Fall bewirkt die Frage nach der Herkunft, trotz mancher Freude über die überraschende Aufmerksamkeit, mittlerweile bei nahezu allen Afrikanern überwiegend Argwohn und mitunter auch blanken Ärger. Teils, weil die allermeisten von ihnen wirklich nichts mit dem Land des aufstrebenden Fußballs zu tun haben (kaum zweitausend der gut 750.000 Afrikaner kommen von dort) und sich durch das sofortige Desinteresse bei Verneinung der Frage beleidigt fühlen, teils weil sie Anerkennung „als fleißige, ehrliche Arbeiter und vor allem als Menschen wollen und nicht weil elf von uns im Ballhinterherrennen gut sind“, wie Ali O'Hara, Olivenpflücker und Gewerkschaftsmitglied, fordert.

Und zum Teil auch, weil sie, so Jean Le Rocques aus Algerien, „bald ein sehr böses Ende dieser Sympathie“ befürchten: Die Welle von Zuneigung, so der 38jährige Sprecher der kleinen Immigrantengemeinde nahe Benevent im Hinterland Neapels, nach dem überraschend gutem Abschneiden und dem stellenweise berauschend schönen, unverdorbenen Spiel der Mannschaft aus dem Zentrum Afrikas allüberall ausgebrochen, „die wird den 8. Juli“ - Tag des Endspiels „nicht lange überdauern“. Die „Greiftrupps der Polizei und der Carabinieri“, so Jean, seien „längst gebildet“, die Plätze für die ersten Razzien ebenfalls ausgesucht - „und die Schmiergelder der Camorra-Banden, die einzelne Immigrantengruppen decken und weiter wie bisher ausbeuten, fließen auch schon kräftig“. Nur die aus der Luft gegriffene Anschuldigung verängstigter Einwanderer mit ungewissem Schicksal, oder steckt mehr dahinter?

Tatsächlich läßt sich der Verdacht Jeans, daß „die uns halt jetzt, im Blickfeld der Weltöffentlichkeit, eine Gnadenfrist geben, mehr nicht“, schwer widerlegen. In den vier Tagen gemeinsamen Herumwanderns, Warenanbietens und Hin- und Herkarrens zwischen den Obstplantagen und Tomatenfeldern Benevents wurden wir nicht weniger als elfmal von Polizeistreifen kontrolliert - und stets mit einem breit grinsenden „Na, nächste Woche sehen wir uns wieder“, mit dem bezeichnenden Griff zu den Handschellen verabschiedet. Während der drei gemeinsamen Nächte in einem verfallenen ehemaligen Bauernhaus kamen die Ordnungshüter fünfmal - und jedesmal ganz offenbar ausschließlich mit der Tendenz „Wenn wir euch finden wollen, wissen wir, wohin wir gehen müssen“. Obwohl vier der (siebzehn) Männer überhaupt keine Papiere vorwiesen, nahmen sie sie nicht mit - doch immer ließen sie die Drohung „Nächste Woche wird's ernst“ zurück, manchmal verborgen hinter einem spitzbübisch erhobenen Zeigefinger, manchmal mit unverholen sadistischem Grinsen. Manch einer der Carabinieri allerdings geht mit deutlicher Übelkeit weg: „Wenn ich dran denke, daß ich vielleicht schon bald einen von diesen netten Kerlen wegschaffen muß...“ sagt ein Feldwebel und hebt unglücklich die Arme.

Tatsächlich sind die meisten Zuwanderer davon überzeugt, daß die Zuneigung der Italiener auch unabhängig vom „Calcio“ oft keineswegs gespielt ist und daß auch die meisten Abgeordneten und manche Regierungsmitglieder „uns gar nicht hinauswerfen wollen, sondern sich lediglich dem Druck der anderen europäischen Staaten beugen“ (so ein Hammar der Ägypter, der für viele schriftunkundige Freunde bei den Behörden die Aufenthaltsgenehmigungen beantragt).

Die Vorstellung ist so abwegig nicht: Zwar ist Ende Juni die letzte Frist für die Legalisierung illegaler Immigranten - durch freiwillige Meldung bei den Behörden - abgelaufen, und seither gelten die martialischen Vorschriften des „Martelli-Gesetzes“ (benannt nach dem sozialistischen Vize -Regierungschef) mit sofortiger Ausweisung ohne Revisionsmöglichkeit und Gefängnis bei wiederholtem Einreiseversuch; doch gleichzeitig listen Behörden und Presse Tag für Tag immer mehr Berufe auf, in denen das Land „gerne großzügig Einreiseerlaubnisse gestatten möchte“ (so eine Verlautbarung des Gesundheitsministeriums) - vom Müllmann über Steinbrucharbeiter und Haushaltshilfen bis hin zu Krankenschwestern und Pflegepersonal in Altenheimen und Kliniken. „Zeichen, daß die Sprüche, wonach man die Grenzen zum Schutz der eigenen Arbeiter schließen muß, reiner Mist sind“, sagt Jean. Nicht alle sehen die Lage so aussichtslos wie der - freilich durch bereits ein Dutzend Zusammenstöße mit Behörden in seiner Eigenschaft als Vertreter von Einwanderern leidgeprüfte - Jean. „Die brauchen uns, sonst bricht denen zumindest hier im Süden die Wirtschaft zusammen: wer erntet die Tomaten, die Paprika, die Pfirsiche, wer haut die Marmorblöcke und holt sich Staublungen?“ fragt Talano aus Tansania, und es klingt fast so wie eine Rechtfertigung der Ausbeuterei, weil sie, immerhin, Lebens- und Verdienstraum schaffen könnte. Jean nickt. „Das stimmt“ sagt er trocken. „Nur: Die brauchen auch die EG, und deren Kommandeure wollen die Grenzen dicht. Die Italiener werden sich da durchmogeln, kein Zweifel. Aber sie werden die Leute in Brüssel zu unseren Lasten befriedigen, nicht zu ihren.“

Das stimmt wohl. Als zu Wochenanfang böse Rechner den Italienern am ersten Tag ihrer halbjährigen EG -Präsidentschaft vorhielten, daß gegen die Leute vom Stiefel derzeit mehr als vierzig Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof wegen Nichteinhaltung verbindlicher Normen laufen, zogen die Regierungsmitglieder den Kopf ein - und gelobten, daß das nicht mehr passieren wird. Und „die Nagelprobe wird eines der Modellgesetze des Landes sein“, versprach Vizeregierungschef Martelli, „die wortgenaue Anwendung des Immigrantengesetzes.“

Kein Wunder, wenn Jean nach diesen Worten noch schwärzer sieht als bisher - allen Sympathien für Kamerun zum Trotz.