Froh, ein Deutscher zu sein

■ Warum Stolz bei einer Lotto-Weltmeisterschaft kein Thema ist

Es mußte einfach so kommen: Deutschland wird Fußballweltmeister. Selbst ein Maradona kann daran nichts ändern, es ist - irgendwie - ausgemachte Sache. Zuerst Währungsunion, dann Endspiel, und nächste Woche holt Kohl in Moskau das 0kay für die Vereinigung - der Zug ist wieder mal abgefahren, und die Stimmungsdroge Fußball hält ihn euphorisch unter Dampf. Nur diesem geheimen Fahrplan, so scheint es, ist das tragische Ausscheiden Kameruns aus dem Wettbewerb geschuldet: einzig der afrikanische Tanz hätte die deutsche Power durchkreuzen und einen Strich durch die Wiedervereinigung machen können, also mußte England her. Schon wegen der Fans, die mit einem lächelnden Afrikaner nichts anfangen können, sehr wohl aber mit einem zechenden Hooligan. Die Thatcher-Variante des Marxschen Lumpenproletariats gereicht der teutonischen Jugend zum Vorbild, die Bier- und „Sieg!„-süchtigen lieferten sich Nächte blutiger Fressen, während Afrika Politik der Umarmung demonstrierte - auf dem Spielfeld und auf den Rängen. Kultur kommt offenbar nicht mehr aus den Metropolen, sondern nur noch aus dem Busch.

Und doch ist noch der rüdeste Hooliganismus ein liebenswertes Ritual, verglichen mit dem, für das er steht, also etwa dem Falkland-Krieg im Unterschied zum möglichen Finale England-Argentinien samt allem denkbaren Rowdytum. Hauptaufgabe des Fußballs ist es, den Nationalismus in Folklore zu verwandeln.

Insofern muß ein Haufen Hooligans verglichen mit einem Trupp Elitesoldaten wie eine hochkultivierte Spezies wirken: Nur leicht bewaffnet, schwer berauscht, zielunsicher, schwankend - tatsächlich sind ja auch die Opfer der Völkerschlacht „Italia '90“ an allen Schauplätzen der Welt äußerst gering, gemessen an jedem x-beliebigen Sechs-Wochen -Krieg. Deshalb können Kampfereignisse wie eine solche Meisterschaft, trotz aller zelebrierten „Nebenerscheinungen“, gar nicht oft genug stattfinden, Olympiaden gar nicht ausufernd genug sein - es geht darum, Veranstaltungen wie Waterloo ein für allemal in Woodstock zu verwandeln.

Ein gutes Zeichen gaben die äußerst knappen Entscheidungen der Halbfinalspiele: nach Elfmeterschießen ist niemand „stolz, ein Deutscher zu sein“, sondern höchstens froh. Den Nationalismus derart dramatisch in Lotterie aufzulösen etwas Besseres kann uns eigentlich nicht passieren.

Mathias Bröckers