Japan spielt die „chinesische Karte“

■ Die Chinesen sollen die Wirtschaftshilfe bekommen, die Moskau vorenthalten wird

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Gratulation nach Peking! Den Machthabern in China gelingt es, mit der größten Hinrichtungswelle seit Jahren die eigene Opposition zu knebeln und gleichzeitig ihr Image im Ausland aufzupolieren. Ein Widerspruch? Wohl nur für unverbesserliche Moralisten. Kein Widerspruch jedenfalls für die japanische Regierung. Ministerpräsident Kaifu hat am Donnerstag vor seiner Abreise zum Weltwirtschaftsgipfel in Houston verkündet, daß er sich dort für die baldige Aufnahme von Wirtschaftshilfe für China einsetzen werde. Ein eingefrorener 16-Milliarden-DM-Kredit soll so bald wie möglich ausgezahlt werden. Es sei an der Zeit, so Kaifu, auf die „positiven Signale“ aus Peking zu reagieren, wie die Aufhebung des Kriegsrechts und die Ausreisegenehmigung für den chinesischen Sacharow Fang Lizhi.

In der Tat haben die Chinesen geschickt taktiert. Während allein in den letzten Wochen Hunderte von Exekutionen durchgeführt wurden, um die seit dem Massaker vom Juni 1989 verstummte Opposition einzuschüchtern, gelangten Nachrichten über diese Grausamkeiten nur vereinzelt in die internationale Presse. Die chinesischen Medien sind gehalten, die Hinrichtungen nur vereinzelt „zu erzieherischen Zwecken“ zu publizieren. Nach außen dringen vielmehr Lippenbekenntnisse zur „Fortsetzung des Kurses der wirtschaftlichen Liberalisierung“.

Nun soll hier gar nicht die wohlbekannte Diskussion um das Für und Wider von Wirtschaftssanktionen aufgewärmt werden. Kaifu argumentiert zu Recht, daß es langfristig der beste Weg sei, die Demokratie in China damit zu fördern, den Lebensstandard zu heben. Auffällig ist es aber, daß die gleiche Einsicht nicht für die Sowjetunion gelten soll. Kaifu hat den Falken in seiner Regierungspartei versprochen, vor den anderen sechs Gipfelteilnehmern gegen Wirtschaftshilfe für die Sowjetunion zu stimmen. Er weiß sich damit auf einer Linie mit US-Präsident Bush, der Hilfe für Moskau immer noch an weitere Bekenntnisse zur Marktwirtschaft und Ausreiseerleichterungen für sowjetische Juden knüpft.

Bush, der früher einmal Botschafter in Peking war, hat sich im Gegensatz dazu wiederholt gegen weitere Maßnahmen in Richtung China ausgesprochen. Anfang Juni verlängerte er trotz heftiger Proteste im Kongreß und im Senat die sogenannte Meistbegünstigungsklausel für China - ein Status, den er Gorbatschow vorenthält.

Es wird also sowohl in Tokio wie auch in Washington mit zweierlei Maß gemessen. Nichts gegen den lobenswerten Einsatz für die Menschenrechte in der SU. Sind jedoch die Rechte der nach Schätzungen von amnesty mindestens 10.000 Regime-Gegner in chinesischen Gefängnissen weniger wert? Sowohl Bush als auch Kaifu spielen die „chinesische Karte“ gegen Moskau. Sie sollten aber wenigstens das Wort „Menschenrechte“ nicht mehr in den Mund nehmen.

Henrik Bork