Die letzten Nonkonformisten

Echte Nonkonformisten haben es immer schwerer. Wie kann heute noch jemand eine individualistische Haltung in politischen, weltanschaulichen, religiösen oder sozialen Fragen einnehmen? Nehmen wir zum Beispiel einen Faschisten, ich meine so einen Typen, der rechts von Attila steht. Schon morgen kann seine Minipartei die Fünfprozenthürde überspringen, und nix ist mehr mit Nonkonformismus. In der Religion gibt's immer noch Nischen, meint ihr. Von wegen! Schaut sie euch doch an, diese immer größer werdende Gemeinde der Esoterik-Jünger. Sonnenanbeter, Pyramiden -Freaks, Pentagramm-Verliebte, Erdstrahl-Berührte und Pilze -Fresser. Die katholi

sche Kirche kämpft gerade schwer, um ihren vorderen Platz in der Mystizismus-Hitparade nicht zu verlieren.

Nein, nein, die Zeit der wirklich großen Nonkonformisten ist vorbei. Es gibt aber noch ein paar kleine, äußerst sympathische Abweichler. So geriet z.B. vor ein paar Tagen ein 56jähriger Mann an der deutsch-dänischen Grenze in eine Verkehrskontrolle. Als die Uniformierten seinen Führerschein sehen wollten, erwiderte der Mann nicht ohne Stolz, daß er so ein Papier nicht besitze und auch nie besessen habe. Er fahre aber schon seit 1949 Auto, und zwar unfallfrei. Nur zweimal sei er bis jetzt in eine Polizeikontrolle geraten, doch habe er sich jedesmal gut herausreden können. Die humorlosen Beamten verpaßten dem vorbildlichen Verkehrsteilnehmer natürlich eine Anzeige.

Für den 24jährigen Chinesen Li Ji

nyu aus der Provinz Sichuan war der Besuch einer nahegelegenen Stadt in seiner Heimat aus zweierlei Gründen etwas ganz Besonderes: Er hatte noch niemals zuvor seinen Geburtsort verlassen und sich eigens zu diesem Anlaß erstmals in seinem Leben beklei

det. Li, ein Bauer, wurde von den Bewohnern seines Dorfes „Feuerjunge“ genannt, weil ihm trotz seines Adamkostüms selbst kälteste Temperaturen nichts anhaben konnten. Bereits im zarten Alten von zwei Monaten hatte Li sich energisch geweigert, Strampelhosen anzuziehen. Später mußte auf die Einschulung des überzeugten Nudisten verzichtet werden. Dann betrat der Arzt Yang-Keliang die Szene. Er brachte Li Lesen und Schreiben bei und diagnostizierte eine „Kleider-Phobie“. Im vergangenen September ging Li dann dem Doktor in die Falle. Zuerst machte der Arzt den Bauer ganz scharf auf die Feiern zum Nationaltag, nur um ihm dann mitzuteilen, er könne sie aber auf keinen Fall völlig nackt besuchen. Daraufhin zog Li das erste Mal in seinem Leben eine Hose an.

Karl Wegmann