Berlin: Einkaufschaos und Umsatzeinbußen

■ Obst- und Gemüseläden bleiben in Ost-Berlin auf den Waren sitzen / Andrang in den Kaufhallen und in Westberliner Billigläden / DDR-Bier und West-Knödelmehl sind wesentlich billiger

Schmitzens sind stinksauer und frustriert: Seit Montag haben sie in ihrem Obst- und Gemüseladen ein volles Angebot, aber die Käufer bleiben aus. Herr Schmitz führt seine Umsatzeinbußen auf die Lage des Geschäfts zurück. Die Oranienburger Straße im Ostberliner Stadtbezirk Mitte liegt in einem Arbeiterbezirk. „Hier halten sich die Leute mit dem Einkaufen erst einmal zurück.“ Man wisse ja nicht, wie es weitergehe. „Die Löhne bleiben hinter den Preisen zurück, die Leute fürchten Arbeitslosigkeit.“ Vor allem auf Frischwaren, wie Bananen, Kartoffeln, Pfirsiche und so weiter bleiben die Schmitz‘ sitzen. Die Leute rennen lieber in den Westen, fügt Frau Schmitz resigniert hinzu. Sie glauben, daß es dort billiger sei. Aber sie hat von Kunden erfahren, daß sich einige Preise nichts nehmen. Und in der Tat sind die Bananen genauso billig oder eben teuer wie im Westen. Außerdem können einige Kunden mit vielen Angeboten gar nichts anfangen, weil sie keiner kennt. Das haben die Schmitz‘ schon geahnt, als sie ihre Bestelliste am vergangenen Freitag abgaben. Aber das wurde „da oben“ beim Konsum völlig ignoriert. Nun sitzen sie mit ihrem Obst und Gemüse da. Das Ergebnis: Über 1 000 DM Einbuße seit Montag dieser Woche. Der Tagesumsatz liegt bei 700 DM. Ihr Fazit: „Lange machen wir das nicht mehr mit und schmeißen den Kram einfach hin.“

Im Konsum eine Querstraße weiter sind die Verkäuferinnen ganz zufrieden. Der Laden ist voll, die Regale leer, weil man mit dem Auspacken nicht hinterherkommt. Aber eine Verkäuferin gibt auch zu, daß bestimmte Produkte bis heute gar nicht oder nur einmal geliefert wurden. Vor allem an Milchprodukten hapert es. Der DDR-Milchhof boykottiert den Konsum, weil dieser mit der westdeutschen Ladenkette Rewe zusammenarbeitet. Beim Brot ist es genau umgekehrt. Die DDR -Großbäckerei würde gern liefern, aber der Konsum bezieht sein Brot jetzt von der Firma Paech in West-Berlin. Die Verkäuferinnen aus dem Konsum finden die Preise nicht zu hoch, abgesehen vom Brot und von Fleischprodukten. Aber der Konsum hat schnell reagiert: Seit gestern sind die Preise von Fleisch- und Wurstwaren um 30 Prozent im Preis gefallen. Einige Waren sind sogar billiger geworden als früher, beispielsweise Eier, Öl, Butter, Tee, Kaffee und Knödelmehl.

Das bestätigen auch Kunden in der Centrum-Kaufhalle in der Ostberliner Chausseestraße. Es ist voll und ein Einkaufskorb nur mit Anstehen zu haben. An der Kasse harren die Leute geduldig mit ihren vollbepackten Wagen. Die meisten Kunden sind mit den Preisen zufrieden. Herr Lorenz ist hierher gefahren, weil die Vitaminsäfte und das DDR-Bier billiger sind. Während eine große Flasche Berliner Pilsner vor dem 1.Juli 1,28 M kostete, zahlt er jetzt nur noch 81 Pfennig. Überhaupt würde er viel lieber DDR-Produkte kaufen: „Die sind nicht schlechter als die von drüben.“ Eine Studentin aus dem Ostberliner Stadtbezirk Lichtenberg geht hier einkaufen, weil das Angebot billiger ist als in ihrer Kaufhalle. Hätte sie Zeit, würde sie auch in den Westen fahren, weil dort einiges vielleicht noch billiger ist.

Als „eine große Schweinerei“ empfindet das Ehepaar Oswald die Preise außerhalb von Berlin: „Der Großhandel schmeißt dort die Waren viel zu teuer auf den Markt, und die Leute können eben nicht wie die Ostberliner zur Konkurrenz gehen.“ In einem sind sich die Befragten einig: „Früher rannten wir rum, um überhaupt etwas zu bekommen. Heute geht die Rennerei nach Billigangeboten.“

Bärbel Petersen