Spielen mit Geld und mit dem eigenen Leben

■ Mit dem Spielhallen-Boom ist die Zahl der Glücksspielsüchtigen drastisch angestiegen / Erfahrungen aus der stationären Therapieeinrichtung

Aus Filmen und klassischen Romanen kennen wir die Spieler als verarmte Adelige oder knallharte Zocker, die am Roulettetisch einen Tausender nach dem anderen auf Zahl oder Farbe packen. Doch im Zeitalter von Spielhallen und Münzautomaten sieht die Welt der Glücksspieler wesentlich trister aus. Im „Sozialtherapeutischen Wohnheim Jenfeld“, einer Hamburger Nachsorgeeinrichtung für suchtkranke Männer, ist mehr als ein Drittel der Plätze mit Glücksspielsüchtigen belegt.

„Etwa seit 1985 steigt die Quote der Automatenspieler genauso rasant an, wie an jeder Ecke neue Spielsalons entstehen“, sagt der Jenfelder Sozialtherapeut Martin Kaufmann, der seit elf Jahren in der Therapie von Suchtkranken arbeitet.

„Damals schossen die Spielhallen wie Pilze aus dem Boden“, erinnert sich der 20jährige Andi aus Wilhelmsburg, der mit dreizehn in einem Cafe seine Spieler karriere begann. „Du konntest doch keine hundert Meter gehen, ohne an so einer Kiste vorbeizukommen, in jeder Kneipe, jeder Pommes-Bude hing so ein Ding.“ Nachdem er zunächst Mutter und Schwester beklaut, unzählige Brüche und mehrer Selbstmordversuche hinter sich gebracht hatte, landete er mit aufgeschnittenen Pulsadern in der psychiatrischen Abteilung im Allgemeinen Krankenhaus Ochsenzoll.

In ganz Norddeutschland ist dies die einzige stationäre Einrichtung, in der Glücksspieler therapeutische Hilfe bekommen können. Jetzt lebt Andi in dem von der staatsnahen „Alida-Schmidt-Stiftung“ getragenem Wohnheim in Jenfeld, wo er sich auf ein neues Leben vorbereitet, das nicht mehr um das Glücksspiel kreist.

Die Atmosphäre in den Spielsalons ist für die Süchtigen „wie eine andere Welt“. In jeder Ecke drei Automaten nebeneinander, hinter einer Trennwand die nächsten drei - da hängt dann alles rum, jung und alt, arm und reich. „Da ist man unter sich, da ist jeder gleich“, sagt Andi. Er schätzt, daß mindestens achtzig Prozent der Besucher süchtig sind. Die Einsätze sind so niedrig geblieben wie vor zehn Jahren schon mit dreißig Pfennig ist man dabei -, doch die Apparate selbst wurden perfektioniert. Psychologen haben ausgetüftelt, wie man den Leuten das Geld am besten aus der Tasche zieht. Selbst zum Geldwechseln braucht man keine Pause mehr: einfach die Scheine reinschieben und bis zum letzten Pfennig sitzenbleiben.

Sechs- bis siebenstellige

Spiel-Schulden

Die Spieler versuchen meistens an mehreren Automaten gleichzeitig ihr Glück, in der krankhaften Hoffnung auf den ganz großen Gewinn, um sich auf einen Schlag von ihrer Schuldenlast zu befreien. Ein typischer Spielsüchtiger, so Martin Kaufmann, hat sechs- bis siebenstellige Schulden.

Der Rekordhalter in der Jenfelder Nachsorgeeinrichtung, ein Bankangestellter, hatte es auf zwei Millionen gebracht. Jahrzehntelang hatte er in seinem Geldinstitut wie besessen geschuftet, bis er am Ende war und noch mit fünfzig Jahren dem Glücksspiel verfiel. In der Persönlichkeit eines solchen „Workoholic“ zeigt sich nach Meinung von Fachleuten oft schon die klassische Verhaltensstruktur eines Suchtkranken, die erst dann offenbar wird, wenn er auf eine andere Droge umsteigt.

Hohe Einsätze, Nervenkitzel, die Chance zum Alles oder Nichts - das ist die spektakuläre Seite des Spielerdaseins, mit der sich die Suchtkranken jahrelang über ihre traurige Leidensgeschichte hinwegtäuschen können. In Wahrheit ist das Glücksspiel ein Rauschmittel wie Alkohol, Psy

chopharmaka oder Heroin. Versperrt man den Abhängigen den Zugang zu den Spielapparaten, haben sie regelrechte Entzugssymptome: Sie schwitzen, zittern, werden von Herzrasen und Halluzinationen gequält, weil der Druck so groß ist und das Denken ausschließlich um den Suchtstoff kreist.

Ohne Spielapparate

Entzugserscheinungen

In der Therapie geht es nicht um die Droge selbst, sondern um die Suchtpersönlichkeit. Die Männer, die sich nach einer abgeschlossenen Behandlung in Jenfeld auf ein normales Leben vorbereiten, neigen zu exzessivem Essen, Kaffeegenuß oder Fernsehen, um sich zuzudröhnen. Im Fachjargon heißt das „Suchtverlagerung“.

Weil sie keine wirkliche Lebensfreude empfinden, keine befriedigende Beziehung zu sich selbst und ihrer Umwelt entwickeln können, versuchen sie sich auf irgendeine Weise zu betäuben. „Beim Spielen“, erzählt Andi, „waren alle meine Probleme wie weggeblasen.“

Die Sozialpädagogin Anja Sühl, die in dem Jenfelder Wohnheim Freizeitarbeit macht, hat deshalb auch den Job „mit dem größten Frust“. Sie empfindet es als unendlich schwierig, die inzwischen abstinenten Männer zum Mitmachen, gar zu eigenen Initiativen oder Hobbis zu motivieren. Wenn das gelingt, haben die Suchtkranken eine großen Schritt geschafft, um ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen.

Die meist sehr jungen Glücksspielsüchtigen in Jenfeld haben schon einen oder mehreer Suizidversuche hinter sich. „Spieler spielen immer, mit anderen Menschen und mit ihrem Leben“, sagt Martin Kaufmann. Nach seinen Erfahrungen inszenieren Glücksspielsüchtige oft auch in der Therapie ihre Spiele weiter, tauschen die eigene schlimme Geschichte zugunsten eines Schauspiels aus. „Sie packen ihre Chips auf den Tisch und verwickeln ihre Gesprächspartner in ein Dauer -Ratespiel.“ Kaufmanns These: „Als Spielball zwischen den Elternteilen wurden sie in der Kindheit für unterschiedliche Interessen genutzt. So haben Spieler gelernt, sich im richtigen Moment auf die richtige Seite zu schlagen.“

Immerhin: Fast die Hälfte aller Glücksspielsüchtigen bleiben nach der Therapie abstinent - eine im Vergleich etwa zu Heroinabhängigen sehr hohe Quote.

Für Martin Kaufmann sind übrigens die „Co-Spieler“ oft nicht weniger behandlungsbedürftig als die Spieler selbst: „Die Angehörigen oder Freunde verschleiern nach außen die Probleme oft über Jahre und stützen das Suchtsystem, weil sie für ihre eigene Person Gewinn aus der Schwäche des Partners ziehen.“

Gabi Haas