Sexualisierte Nukleardome

■ „Bombensicher“ - Ausstellung der Atomic Photographers Guild in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst

Der amerikanische Fotograf Harris Fogel scheint in seinen seriellen Studien ästhetischen Strukturen auf der Spur. Linien von elektromagnetischen Feldern, die aerodynamischen Schwingungen einer Antenne, Drahtverspannungen in einer riesigen Erdgrube: Im graphischen Spiel der bewegten Linien drückt sich höchste Funktionalität aus. „Form follows function“ in Perfektion.

Fogel isoliert die Details durch die Kameraoptik, rhythmisiert sie durch die serielle Reihung. Seine visuelle Hingabe an die Technik konfrontiert er erst in den begleitenden Texten mit dem Wissen um Herkunft und Bedeutung der technischen Wunderwerke, die er in den letzten fünf Jahren in den Atomtestgebieten der USA fotografierte. Konstruktive Ästhetik und kreative Technik werden hier in die immer neue Erfindung von Atomtests und Materialprüfungen unter den Bedingungen der Atomexplosion verschwendet.

Harris Fogel gehört zu den fünfzehn Fotografen der „Atomic Photographers Guild“, die in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst ihre erste Ausstellung in Europa zeigen. 1986 gründete sich diese Vereinigung von Berufsfotografen, die sich, der Unsichtbarkeit der bedrohlichen Radioaktivität und der Verdrängung von Bildern der Atomindustrie zum Trotz, darum bemühen, die Gegenwärtigkeit des atomaren Zeitalters zu dokumentieren. Weniger den Katastrophen, die als dramatische Höhepunkte schnell zu medialen Ereignisse werden, als vielmehr der unscheinbaren Alltäglichkeit atomarer Energie gilt ihre Aufmerksamkeit.

Ihre Bilder bedürfen oft des begleitenden Textes, um die emotionalen Verstörungen und Verluste zu artikulieren, die die Fotografen angesichts der trügerisch friedlichen Ansicht ihrer Objekte berührt. John Hooten zum Beispiel kämpft mit dem optischen Verschwinden der Silos für Minute-man-Raketen in der weiten Landschaft endloser Kornfelder. Die Landschaft, die in der amerikanischen Tradition zur Chiffre für Freiheit, unendlichen Bewegungsspielraum des Menschen und Unerschöpflichkeit der natürlichen Ressourcen wurde, hat ihr Aussehen nicht verändert. Die Bedrohlichkeit der in ihr lagernden Raketen findet keine visuelle Artikulation; doch gerade diese Ambilvalenz zwischen Ansicht und Bedeutung festzuhalten, wenn auch über die Hilfskonstruktion der Texte, nehmen die „Atomic Photographer“ als Herausforderung an.

Landschaftspflegerische Oberflächenkosmetik beschleunigt die Verdrängung der Atomproblematik aus dem Bewußtsein. Doch abgeschoben in die blinden Flecke der Wahrnehmung, weggetaucht unter die Grenze der bewußten Reflektion, treibt sie dort mystische Blüten. Peter Goin dokumentiert in einer Serie der „Nuclear Landscapes“ ehemalige Atomtestgelände, die für die Öffentlichkeit noch immer gesperrt sind. Dort hat sich im Verborgenen ein merkwürdiger Denkmalskult etabliert, der in verkohlten Ruinen, zusammengeschmolzenen Hangars und elektrischen Einzäunungen für Vieh, dessen Überlebensfähigkeit getestet wurde, fast schon sakrale Monumente findet, Opferaltäre für die Macht der größten destruktiven Energie. 100.000 Quadratmeter radioaktiv verseuchter Erde, die auf dem Eniwetok-Atoll mit Beton verschalt wurden - die Arbeit dauerte drei Jahre und kostete 120 Millionen Dollar - werden zum „Nuclear Dome“, der, aus der Luft gesehen, die Form einer weiblichen Brust annimmt. Die Kraft der Vernichtung wird sexualisiert.

Die Fotografin Carole Gallagher stellt in Porträts und Interviews die Opfer der amerikanischen Atombombentests der 50er Jahre vor. In seiner Resignation sagte einer von ihnen: „Es ist, als ob man sich im Krieg befindet. In einem Krieg gibt es Verluste, und die Verluste sind wir. Das ist eine sehr, sehr traurige Wahrheit, aber es ist nun einmal so.“

Doch die, die diesen Krieg führen, werden hinter den großen Anlagen nicht sichtbar. Die Fotografen aus den USA und Japan zeigen vom Uranabbau verwüstete Landschaften, Testgebiete, Transporte der nuklearen Sprengköpfe. Sie porträtieren lachende Atomveteranen und kranke Opfer, japanische Leiharbeiter und amerikanische Rent-A-Techs, in den Atomkraftwerken, die keinen distanzierten Blick auf ihre tägliche Arbeit riskieren können. Robert Del Tredici präsentiert schließlich sogar das Modell einer Bombe, denn erst das Wissen um die Funktionsweise und die Lösung des vermeintlichen Geheimnis der Atomenergie erwecke die Frage nach denen, die von Konstruktion und Verkauf der Bomben profitieren. Dennoch bleibt die Seite der Gewinner in der Anonymität verschwunden; allein die Opfer erhalten ein individuelles Gesicht.

Bilder vom Widerstand liefern Günter Zint, der seit fast 20 Jahren die Auseinandersetzungen um die Atompolitik der Bundesrepublik und die Protestbewegungen um die Atomkraftwerke dokumentiert, und Juri Kuidin aus Kasachstan. Kuidin nahm an den Protesten gegen ein Atomtestgelände bei Semipalantinsk teil. Dort häuften die Demonstranten für die Opfer der Strahlung eine Steinpyramide auf, gingen zur rituellen Reinigung zwischen zwei Feuern durch und errichteten neben dem Gelände eine Filzjurte. In diesen archaischen Formen ihrer Artikulation des Widerstandes wird das anachronistische Ungleichgewicht ihres Kampfes spürbar.

Katrin Bettina Müller

„Bombensicher“ - Erste Europäische Ausstellung der Atomic Photographers Guild in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst, bis 31.Juli, Mo-Fr 10-17 Uhr, Sa-So 13-17 Uhr. Veranstaltungen zur Ausstellung: 10.Juli, „Väter der tausend Sonnen“ - Klaus Fuchs, Defa-Film 1989; 12.Juli, „Uranabbau in Wismut/DDR“ - Physiker Dr.Sebastian Pflugbeil (Bündnis 90) berichtet. Jeweils 19 Uhr 30 in der NGBK.