Zehn Hörminuten zum Konzertbierpreis

■ Pat Metheny, Herbie Hancock, Jack DeJohnette und Dave Holland featuren sich gegenseitig im „Sommergarten“

Die Aluminiumverkleidung des ICC wirft schillernd Jazz auf die Straße zurück. Könnte Pat Metheny den Klängen seiner Gitarre folgen, er käme spätestens hier unters Auto. Für uns aber wird mit großer Geste gebremst, als wir versuchen, der Schallquelle auf die Spur zu kommen und endlich den Eingang des „Sommergartens“ zu finden. Was wir wissen, ist, daß sich die grüne Arena inmitten des Messegeländes befinden soll. Nichts gegen gut versteckte Konzertbühnen, das fördert den Insiderstatus, aber vielleicht sollten es die Veranstalter in Zukunft für zugegebenermaßen Orientierungslose mit der Pünktlichkeit des Beginns nicht gar so genau nehmen. Kostet den gemeinen Besucher bei knapp zweistündiger Darbietung (zählen wir das Bandgedudel zum An- und Abtörnen großzügig mit) zum Preis von 38 Deutschmark die Minute doch immerhin 35 Pfennig. Durch zehnminütiges Nichthinhören - aus welchen Gründen auch immer (Klobesuch, interessante Gespräche der Nachbarn belauschen, etc.) - entsteht somit ein volkswirtschaftlicher Schaden vom exakten Gegenwert eines Konzertbieres. Ob wir uns das noch leisten können?

Die vier Musiker unter der weißen Zeltplane haben andere Probleme. Sie wollen ihr Konzert möglichst trocken über die Runden bringen. Die Band ist ein quasi All-Star-Auflauf. Alle haben ihre eigenen Gruppenprojekte, wobei Gitarrero Metheny die größte Popularität genießt und somit auch die meisten ZuhörerInnen angelockt haben dürfte. Gleichzeitig merkt man ihm aber an, hier nicht so frei agieren zu können wie mit seiner eigenen Band noch im Oktober im Tempodrom.

Wir hören nicht die Pat Metheny Group, und das ist gut so. Denn was dort inzwischen zur geschmeidigen Gefälligkeit verkommen ist, wird im Quartett der Gleichgroßen mit neuen Widerhaken versehen. Natürlich dürfen dabei nicht die Zitate aus der Karriere des heute 35jährigen Gitarrenwunderkindes des Jazzfests '78 fehlen. Aber „April Wind“ und „April Joy“ wehen uns nicht mehr in sonniger Reinform entgegen. Metheny, wie immer im Ringelshirt, hockt über seine Gitarre gebeugt, als wäre er mit ihr allein, an der Bühnenkante. Er genießt sein Solo, und niemand kann ihm dazwischenfunken.

Und für Momente überkommt einen (oder vielleicht nur mich) dies kribbelige Gefühl der Erinnerung an Zeiten, während derer es musikmäßig kaum etwas Aufregenderes gab als jedes Jahr zu einem Konzert der Pat Metheny Group zu gehen. Wo man stolz darauf war, sagen zu können, bisher keine einzige Tournee verpaßt zu haben, bis auf das Konzert der '80/'81 -Formation, und das auch nur, weil kein Scheißautofahrer einen Tramper nach Hamburg mitnehmen wollte. Zweifel an der Fanloyalität kamen erst mit verschärften Gitarrensynthie -Experimenten und peinlichem This is not America -Geschwafel mit David Bowie auf. Aber was verzeiht man einem guten Freund nicht alles...

Als das Quartett dann noch Jack DeJohnettes Silver Hollow anstimmt, eins der schönsten Stücke der Jazzgeschichte vielleicht, und die Gitarre den Trompetenpart Lester Bowies übernimmt, ist man fast völlig versöhnt. Mit den Regenwolken, die immer dicker werden, mit dem zum Teil belanglosen Synthie-Geklimper von Herbie Hancock, mit dem unkonzentrierten Publikum, das sich über 32.000-DM-Kredite für 2,0 Liter Einspritzer unterhält, und dem Wunsch, die Band lieber im Quasimodo als in dieser Funkausstellungskulisse zu erleben.

Die vier sind nicht nur durch eine unlängst eingespielte gemeinsame Plattenproduktion schlafwandlerisch aufeinander eingestellt. Methenys langjähriger Labelkollege bei ECM, der Schlagzeuger Jack DeJohnette, fegt über die Becken, wuchtet die Trommeln aus, wirkt aber nie aufdringlich in einem prätentiösen Spiel. Der Meister der fein ziselierten Hiebe treibt die anderen sachte vorwärts. Bis sie ihr gemeinsames Idol Miles Davis aus der Synthie-Schachtel zaubern, dessen Trompetenklang Herbie Hancock verblüffend imitiert. Metheny lächelt einvernehmlich, gehört es doch laut eigener Aussage zu seinen großen Träumen, einmal gemeinsam mit Miles Davis auftreten zu dürfen.

Die vier eigentlich aus recht unterschiedlichen Jazzrichtungen von Fusion bis Improvisation stammenden Musiker ziehen in diesem Quartett an einem gemeinsamen Strang. An dessen imaginärem Ende liegt konsequenterweise immer noch der Übervater des Free Jazz‘, Ornette Coleman, dem im letzten Titel gehuldigt wird mit einer verqueren Hymne an die Uneindeutigkeit. Da können sich auch die Regenwolken nicht mehr zusammenreißen, entladen sich auf die Jazz-Meute und erwecken uns viel zu früh aus einem schönen Traum.

Andreas Becker